Naschmarkt
wird.«
Die Liebe ist mit Sicherheit jener Stoff, aus dem der größte Teil der Weltliteratur besteht. Fast jede Spielart menschlicher Zuneigung ist zitierbar, weshalb die User einer literarischen Flirtplattform aus dem Vollen schöpfen können.
Könnten.
»Das Wesentliche ist für die Augen unausstehlich«, schreibt mir liebeshai und hat keine Ahnung, wie recht er hat. Wunderwuzzi hingegen ist fest davon überzeugt, dass er »für die Welt niemand, aber für niemanden die Welt« ist, was logisch klingt. Nur hugoholiker 34 weiß, wovon er spricht, wenn er in seinem Profil notiert: »Es gibt nichts Schöneres als trotz meiner selbst willen geliebt zu werden.«
Oder auch nicht.
»Klagt, Mädchen, klagt nicht Ach und Weh«, schrieb Shakespeare. Doch es fällt einem schwer, bei der Auswahl verfügbarer Kavaliere in den Weiten des Internets nicht den Glauben an die Liebe zu verlieren. Wo sind sie, die begabten Briefeschreiber, die Cyranos unserer Herzen, denen es gelingt, grammatikalisch sowie orthographisch einwandfreie Annäherungsversuche zu starten? Welche Eroberung wird von Erfolg gekrönt sein, wenn sie nicht als Nomen anerkannt und sträflich klein geschrieben wird? Wie soll ein Interresse mit Doppel-R geweckt werden? Und wie kann es je zu einem Kuß kommen, der sich den Regeln der S-Schreibung widersetzt?
Vielen Flirtenden fehlt das Verständnis dafür, dass Intelligenz sexy ist. Intelligenz hat nichts mit höherer Bildung zu tun, sondern mit einem Grundinteresse an der eigenen Sprache und Kultur. Darum, liebe Männer, merkt euch eines:
Wer einer Frau einen Orgasmus beschert, wird vernascht, wer ihn zu schreiben weiß, vergöttert!
(follow @dottiliest bei Twitter)
Montag, 24 . Oktober
»Speed
was?
«
»Speeddating.«
»Das ist ein Scherz, oder?«
Genau genommen würden zu einem Scherz, der durch rhetorische Ironie vermittelt werden soll, entsprechende Ironiesignale gehören, damit der Zuhörer erkennt, dass der Sprecher weiß, dass das Gesagte falsch ist, das Gesagte somit als ironisch gemeint aufzufassen ist.
Pohl jedoch, der mit einem milden Lächeln vor mir auf dem Gang steht, scheint ohne Ironie auszukommen.
»Das mit dem Mauerblümchentest war ja schön und gut, Frau Wilcek, doch die Leser interessiert viel eher, wie man als Langzeitsingle dennoch die große Liebe findet.
Hope for the hopeless,
Sie verstehen? Happy End für Frau Normalo. Niemand will eine unendliche Geschichte über einsame, alte Jungfern oder Ihre abgehobenen Literatur-Abhandlungen hören. Wir brauchen mehr Action, mehr Spaß, mehr Sex!
Die Zugriffe auf den Blog sinken täglich, das kann so nicht weitergehen. Sie haben freie Hand, die Mechanismen des Datings bitterböse abzuhandeln. Aber
daten Sie endlich richtig!
«
Ich öffne den Mund zu einer sarkastischen Antwort, klappe ihn jedoch sofort wieder zu, als ich die gefährliche Doppelvertikalfalte zwischen Pohls Augenbrauen sehe. Er strafft den Oberkörper. Die beachtlichen Muskeln zeichnen sich durch sein enges Hemd ab. Mit Zeigefinger und Mittelfinger fischt er lässig ein Blatt Papier aus der Brusttasche und streckt es mir hin.
»Ihre Teilnahmebestätigung. Lorenz Kanzler war so freundlich und hat Sie bereits angemeldet. Das Event heißt
POE
sucht
SIE
– literarisches Speeddating für Anfänger
und findet am dritten November um zwanzig Uhr im Café Drechsler am Naschmarkt statt. Die Veranstaltung ist seit Wochen ausgebucht, aber da sie von
Literally in Love
gesponsert wird, konnten wir dennoch einen Platz für Sie bekommen. Legen Sie sich ins Zeug, Dorothy! Ich erwarte eine Reihe von sexy Blog-Einträgen mit Insidereinblicken in die Speeddating-Szene. Machen Sie mich stolz! Anna-Maria?«
Mit einem breiten Lächeln lässt er mich vor meiner Bürotür stehen und redet leise auf Ulrike Plasnitsch ein, die ihm diensteifrig zur Seite geeilt ist.
Grandios. Nicht genug, dass seit einer Woche all die glücklich verliebten, verlobten, verheirateten Kollegen in der Redaktion demonstrativ BEZIEHUNGSSÜCHTIG
-S
childer auf ihren Schreibtischen plaziert haben, nun soll ich auch noch zum Speeddating. Ausgerechnet ich.
Nach mehreren wohltuend datinglosen Jahren und zwei reichlich miserablen Blind Dates stehen mir nun – ich sehe auf meinem Teilnahmezettel nach – zehn Dates à fünf Minuten bevor. Macht fünfzig Minuten, in denen ich eigentlich wunderbar in einem guten Buch lesen, das Badezimmer putzen,
Die Bürgschaft
auswendig lernen, über meine ganz persönliche
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