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Naschmarkt

Naschmarkt

Titel: Naschmarkt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Koschka
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sondern ein wackeliger Steg an der Einstiegstelle San Marco.
    Das Vaporetto war gerade eingefahren, und wie immer griff Paul automatisch nach meiner Hand, als wäre ich gefährdet, ins Meer zu kippen oder ihm anderswie verlorenzugehen. Er war eben ein perfekter Freund. Genau in der Sekunde, als ich vom Steg in das Boot stieg, hob eine Welle es an, und ich sprang das letzte Stück vorwärts, direkt in seine Arme. Er lachte, zog mich näher an sich, und unsere Lippen berührten sich nur ein kleines bisschen. Zärtlichkeit durchströmte mich durch und durch. Eine dicke italienische Mamma schimpfte hinter uns, weil wir den Einstieg blockierten, doch uns war es egal.
    Ärgerlich schüttle ich die Erinnerung ab.
    »Ich wäre besser ins Wasser gesprungen.«
    »Was?« Miki sieht mich irritiert an.
    »Ach, nichts.«
    »So schlimm?«
    »Hm?«
    »Der Kuss. War er so schlimm? Oder hast du an ganz was anderes gedacht?«
    Der Ärger ballt die Faust und boxt mich in die Eingeweide.
    »Was habt ihr immer alle mit eurem Happy End«, sage ich, eine Spur zu laut, »Hollywoodkuss, Geigen, Abspann … das war doch früher nicht so. Die besten Werke der Weltliteratur enden mit Tod und Debakel. Julia: erdolcht. Madame Bovary: vergiftet. Ophelia: ertrunken. Gretchen: verstorben. Soll ich weitermachen? Wann hat das Happy End die Oberhand gewonnen?«
    »Ich glaube an das Happy End«, sagt Miki leise. Das Lächeln ist aus dem Gesicht meiner Freundin verschwunden. Ihre Porzellanwangen sind noch blasser als sonst. Ich schäme mich für meinen Sarkasmus und will sie in den Arm nehmen, doch der Gast vor dem Bücherregal unterbricht uns.
    »Entschuldigung, Fräulein, haben Sie den Roman dieses österreichischen Autors, der über Amors Feder schreibt? Von der Bestsellerliste. Ganz oder Glanz oder so ähnlich.«
    Miki zuckt nur hilflos mit den Schultern. Sie ist eine begnadete Bücherstreichlerin und kennt jede Teesorte auswendig, aber mit Autorennamen hat sie es nicht so.
    »Ich weiß nicht.«
    »Der Roman soll ein gelungenes Happy End haben«, ergänzt der Gast. Täusche ich mich, oder sieht er dabei grinsend in meine Richtung? Die Beleuchtung hier hinten ist nicht die beste, und das Gesicht des Mannes ist kaum zu erkennen. Seine Stimme kommt mir bekannt vor, höchstwahrscheinlich handelt es sich um einen von Lady Lydias Stammgästen.
    Nicht dass mich das sonderlich interessiert. Ich sollte lieber zurück und mich Anton Fischlers entledigen, schließlich muss ich einen Blog-Beitrag und mehrere Rezensionen schreiben. Unter anderem eine, die ich überhaupt nicht schreiben will.
    »Glahnz«, sage ich deshalb nur abfällig. »Der Autor heißt Florian Glahnz. Das H ist stumm.«
    »Können Sie das Buch empfehlen?«, fragt mich der Gast nun direkt.
    »Ich habe es nicht gelesen.«
    »Wie schade«, erwidert er, »ich hätte mich gern von Ihnen beraten lassen. Ich liebe gute Geschichten.« Und mit leicht verändertem Tonfall: »Vielleicht findet sich ja hier eine, in Reichweite.«
    Miki macht sich eifrig daran, ihn zu beraten, und ich wende mich seufzend meinem Blind Date zu.
    »Ah, da bist du ja wieder«, lautet Antons überflüssige Begrüßung. Angesichts der Tatsache, dass ich beinahe fünfzehn Minuten angeblich auf der Toilette war, wirkt er erstaunlich gelassen.
    »Entschuldige«, sage ich und setze mich neben ihn aufs Sofa. »Ich bin aufgehalten worden.« Er nickt verständnisvoll. »Bei mir dauert es auch immer.«
    »Äh … was?«
    »Der Stuhlgang«, fügt er hinzu. »Pflaumenshake hilft. Dörrpflaumen über Nacht einweichen und morgens in den Mixer. Das wirkt wahre Wunder.«
    Er hat soeben die ersten drei zusammenhängenden Sätze des ganzen Nachmittags gesagt, und sie handeln von Verstopfung.
    »Das Rezept ist von meiner Mutter. Falls du willst, schreibe ich es dir auf.«
    »Nicht nötig. Wenn ich aufgehalten sage, meine ich aufgehalten, nicht sitzen geblieben.«
    Er starrt mich einige Sekunden lang mit gerunzelter Stirn an und bricht dann unvermittelt in schallendes Gelächter aus, das wie das Ho-ho-ho des Weihnachtsmannes auf Ecstasy klingt.
    »Du bist lustig«, stellt er fest, sobald er sich wieder erholt hat. Meine Mundwinkel sind schon ganz verkrampft vom bemühten Lächeln. Seit er mit einem Strauß rosafarbener Nelken bewaffnet das Lokal betreten hat, ist mein Gesicht wie eingefroren.
    Er ist nicht hässlich, hat keinen üblen Mundgeruch und macht einen intelligenten Eindruck. Aber er erinnert mich an Paul, und das ist verboten. Das

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