Naschmarkt
der Leitung. Ernestine, wie alt bist du denn?«
»Vierundsiebzig«, antwortet eine resolute Stimme.
»Und du bist Single.«
»Aber wo. Ich habe vor vier Jahren goldene Hochzeit gefeiert. Fünfzig Jahre verheiratet.«
»Und warum«, wirft Kareem ein, »rufst du heute an?«
»Um Frau Wilcek zu gratulieren. Mein Mann und ich, wir wissen schon seit zwanzig Jahren nicht mehr, worüber wir uns unterhalten sollen. Im Bett läuft seit der Fußball- WM vierundsiebzig nichts mehr, zumindest bei mir. Er hat dafür jede einzelne seiner Sekretärinnen vernascht. Unser Leben könnte Stoff für
Desperate Housewives
sein, und zu Weihnachten schenkt er mir seit vierzig Jahren Palmersgutscheine. So viel Unterwäsche kann ich gar nicht der Caritas spenden, wie ich seinetwegen kaufen müsste, dabei hat er mich in keinem Stück richtig angeschaut. Die Kinder sind aus dem Haus, und er hat eine Katzenhaarallergie. Wenn ich könnte, würde ich sein geliebtes Wiener Schnitzel mal mit Arsen panieren und …«
Tuuut.
Eine kurze Pause, ehe der Moderator sich räuspert.
»Äh, ich denke, das war es für heute … Wie? Ich höre, wir haben noch eine Anruferin in der Leitung. Hallo, Beatrice.«
Mein Herz setzt für einen Augenblick aus, als die kühle Stimme aus der Stereoanlage durch die Küche des
Pies & Pages
weht wie ein besonders frostiger Herbstwind.
»Guten Tag, Herr Kareem. Ich verstehe überhaupt nicht, was der Hype um diesen Blog soll. Wir Homo sapiens sind keine Einzelgänger, und jeder, der etwas anderes behauptet, hat eben keinen Partner abgekriegt oder war zu faul zum Suchen. Es ist keine individuelle Entscheidung, Nachwuchs zu haben. Kinder sind die Zukunft der Gesellschaft. Haben Sie eigentlich eine Ahnung, was …«
Tuuut.
»Das war es mit unserer Sendezeit auf
Radio Wien Eins
«, sagt Kareem mit professionell guter Laune. »Bleiben Sie dran bei den größten Hits der Achtziger und Neunziger bei
Wunsch um fünf.
Am Montag gibt es als ganz besonderes Highlight einen Livechat mit Dotti Wilcek exklusiv auf unserem Online-Portal um zehn Uhr vormittags. Sie wird uns von ihrer Datingrecherche berichten. Ein schönes Wochenende wünschen Ramy Kareem und das Team von
Samstagnachmittag.
« Ein Werbejingle setzt ein.
»Recherche?«, fragt eine irritierte Stimme hinter mir. Lady Lydia, Miki und ich drehen uns gleichzeitig um. Anton Fischler steht in der Küchentür und schaut von einer zur anderen.
»Wolltest du mich etwa nur zur
Recherche
treffen? Steh ich dann morgen in deinem Blog?«
»Keine Sorge«, antworte ich, »da kommen nur interessante Dinge rein.«
Ich beiße mir auf die Lippen, als Fischler prompt kehrtmacht. Lady Lydia schenkt mir einen Dotti-du-Schaf-Blick und stürmt auf Anton zu, das Gemüsemesser auf seine Brust gerichtet.
»Sie dürfen nicht gehen, Herr Fischler. Nehmen Sie noch einen Tee. Oder wollen Sie ein Sandwich? Ich habe Gurke-Ei und Thunfisch-Zucchini.«
Um das zu untermalen, hebt Lady Lydia das Gemüsemesser und fuchtelt damit vor Antons schreckgeweiteten Augen herum. Angesichts dieses Bildes und in Gegenwart einer Zucchini-Messer-Kopfkino-Situation breche ich endgültig in hysterisches Kichern aus, das in einen Hustenanfall übergeht. Miki klopft mir auf den Rücken. Anton wiederum weicht langsam rückwärts zurück, dreht sich dann blitzschnell um und verlässt fluchtartig die Küche und das Lokal.
»Na, den wären wir los«, kommentiere ich, immer noch hustend, die neue Entwicklung, worauf Lady Lydia drohend die Augenbrauen hebt. In dem Moment spricht das Radio höchstpersönlich zu mir. Die Stimme, die aus dem Lautsprecher dringt, sagt zwei Worte zur Begrüßung, doch die sorgen dafür, dass mir schwindelig wird.
»Hallo: icherzählerin …«
Liebst du schon oder lebst du noch?
Flirteratur
Sonntag, 23. Oktober
»Es ist eine allgemein anerkannte Wahrheit, dass ein Junggeselle im Besitz eines schönen Vermögens nichts dringender braucht als eine Frau.« So lautet der berühmte erste Satz von Jane Austens Stolz und Vorurteil. Offensichtlich waren ihre Vorurteile dem männlichen Teil der Bevölkerung gegenüber zu groß, denn sie selbst kam nie unter die Haube, sondern blieb überzeugte Plusnull. Für Miss Marple dagegen waren die Herren ohnehin »eine von ihrem eigenen Geschlecht ganz verschiedene Art von Menschen«. Marie von Ebner-Eschenbach wiederum sah die Angelegenheit optimistischer: »An Rheumatismen und an wahre Liebe glaubt man erst, wenn man davon befallen
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