Naschmarkt
ist schlimmer als Sardellenzwiebelleberaufstrich-Atem!
Samstags um diese Uhrzeit ist nicht allzu viel los im
Pies & Pages,
weshalb Lady Lydia mit einem Sudoku-Heft hinter dem Tresen lehnt und so tut, als löse sie konzentriert ihre Rätsel, während sie uns in Wahrheit aus den Augenwinkeln beobachtet. Muttertiersyndrom.
Zwei alte Damen trinken beim Tisch am Fenster Pfefferminztee, den ich bis nach hinten riechen kann. Leider ist Annili nicht gekommen. Obwohl ich sie nur einmal getroffen habe, vermisse ich ihr Blümchenkleid und Oranges treuherzigen Hundeblick.
»Was denkst du gerade?«
»Wie bitte?«
»Du hattest eben einen so geheimnisvoll abwesenden Blick.«
Anton hat keine Mühe mit seinen Mundwinkeln, die benehmen sich absolut honigkuchenpferdig.
Ich werde nie verstehen, warum »Was denkst du gerade?« bei meinen Geschlechtsgenossinnen so hoch im Kurs steht. Im Falle eines Dates gibt es doch in Wahrheit nur zwei Möglichkeiten: Entweder denkt man an sein Gegenüber, dann ist die Frage müßig, oder man denkt über die Kosten für eine kompetente Steuerberatung, die Verdauung der letzten Mahlzeit oder die Formulierung eines Briefes an die Rundfunkgebührenabteilung nach. Aber wer wird das schon zugeben?
Ich stelle mir vor, wie ein solches Gespräch wohl ablaufen würde.
»Schatz, woran denkst du gerade?«
»Ach, nichts Besonderes.«
»An mich?«
»Nein, wirklich nichts Besonderes. Ich habe, während du mir tief in die Augen geschaut hast, nur überlegt, ob ich wegen meiner Verdauungsbeschwerden eine Endoskopie machen lassen sollte.«
Oder:
»Schatz, war es gut für dich?«
»Ach, ist es schon vorbei? Ich war noch gar nicht mit der Einkaufsliste fertig. Haben wir noch eine Zucchini im Kühlschrank, oder ist die faul?«
»Was?«
Ich blinzle die Vorstellung weg und sehe in Anton Fischlers Gesicht, das ein einziges Fragezeichen ist.
»Entschuldigung, ich war in Gedanken.«
»Du hast etwas von Zucchini gemurmelt. Bist du Vegetarierin?«
Ich setze gerade zu einer Antwort an, die den in mir aufkeimenden Lachkrampf verhindern soll, als aus der Küche ein lautes Quieken ertönt. Erschrocken stürmen sowohl Miki als auch ich fast gleichzeitig durchs Lokal und hinter die Theke zur Tür, die in die Küche des
Pies & Pages
führt.
»Alles in Ordnung, Mummy?«
»Lady Lyd…«
»Pssst!«
Miki verstummt augenblicklich und hält sich an mir fest. Meine Mutter steht am Herd, die Augen weit aufgerissen, in der einen Hand ein Gemüsemesser, die andere wie im Schwur erhoben.
»Was ist denn los?« Ich merke, dass meine eigenen Hände vor Panik zittern. Vielleicht hat sie einen Schlaganfall, oder sie hat sich mit dem Mixer elektrisiert. Aber müssten ihr dann nicht die Haare zu Berge stehen? Ihre Frisur ist tipptopp wie immer, dafür steht ihr Mund weit offen.
»Dotti«, sagt sie mit vor Erregung bebender Stimme, »du bist im Radio!«
»Ich bin
was?
«
»Schnell, lauter«, ruft sie Miki zu, die gehorsam zur Stereoanlage eilt, um die Lautstärke zu erhöhen. Eine angenehme Männerstimme, die mir vage bekannt vorkommt, erfüllt den Raum und ist schuld daran, dass sich Mikis Blick in Sekundenschnelle verklärt.
»… Generation Pluskatze. Zumindest in der Großstadt schämt sich heute nämlich niemand mehr, wenn er allein lebt und sein Haustier im Bett schlafen lässt. Der Erfolg des Blogs von Dotti Wilcek zeigt, dass das eine Lebensweise ist, die sowohl auf Seiten der freiwilligen Mauerblümchen als auch auf Seiten der Familienvertreter für Diskussionsstoff sorgt.«
»Das ist Ramy Kareem«, haucht Miki, »dieser enorm gutaussehende Typ aus
Dancing Stars.
«
»Pst«, zischt Lady Lydia, die nun das Gemüsemesser an ihre schmale Brust drückt.
»Ich habe jetzt die erste Anruferin in der Leitung, und das ist die Birgit aus Wien. Hallo, Birgit, bist du auch ein Mauerblümchen?«
Etwas fiepst aus dem Radio, räuspert sich und fährt mit Meerschweinchenhüsteln fort.
»Hallo, Ramy. Ich bin ein riesiger Fan von Dottis Blog. In der Schule haben mich immer alle gehänselt, weil ich keinen Freund abgekriegt hab. Aber man braucht gar keinen Freund. Ich habe vier verschiedene Kreditkarten und wohne auf hundertachtzig Quadratmetern.«
»Das ist toll, Birgit. Also bist du glücklich allein.«
»Klar. Aber wenn du mal Zeit hast, meine Adresse ist …«
Tuuut.
Ein hastig eingeschobenes Klingelzeichen kündigt den nächsten Anrufer an. Der Moderator hört sich ein wenig irritiert an. »Jetzt haben wir Ernestine in
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