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Nashira

Nashira

Titel: Nashira Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L Troisi
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ihr ein Stück Fleisch aus der Schüssel. Talitha hatte sich überzeugen lassen und öffnete den Mund.
    Melkise hatte ihnen aus den Augenwinkeln heraus zugesehen. Er schnalzte verächtlich mit der Zunge, wandte sich wieder dem Feuer zu und biss in einen großen Kanten Brot.

    Von diesem Abend an unterließ Talitha alle Fluchtversuche. Sie sah ein, dass es nicht nur sinnlos war, ohne einen konkreten Plan einfach abzuhauen. Das würde ihre Lage sogar noch verschlimmern. Saiph hatte Recht, sie mussten auf den richtigen Augenblick warten. Nur, wie sollte der kommen? Sie standen unter ständigen Beobachtung, entweder von Melkise
oder von Grif. Wenn der eine schlief, hielt der andere Wache, ohne die leiseste Andeutung einer Schwäche. Dabei versetzte Grif sie immer mehr in Erstaunen: Er übernahm die längsten Wachen, und nicht ein einziges Mal hatte Talitha beobachtet, dass sein Kopf nur ein klein wenig auf die Brust gesunken wäre. Das Stilett in der Hand, saß er reglos mit starrem Blick vor ihnen. Unerbittlich schaute er sie an, und wenn sie zufällig einen Fuß bewegte oder sich eine weniger unbequeme Lage suchte, spannten sich seine Muskeln augenblicklich an.
    Nur selten kam es vor, dass sich Grif, die Hände zu Hilfe nehmend, mit Melkise unterhielt. Aber wenn er es tat, schien er ihm meistens etwas Erheiterndes zu erzählen, denn häufig brach Melkise daraufhin in schallendes Gelächter aus. Darüber hinaus brauchten sie keine Worte, um sich zu verständigen. Ein Blick genügte, und sofort wusste jeder, was der andere tat. Sie verhielten sich so, überlegte Talitha, wie Saiph und sie diese Reise hätten angehen sollen. Eingespielt und im blinden Einverständnis. Stattdessen waren sie beide häufig verschiedener Meinung gewesen, hatten viele Fehler gemacht und waren so in diese missliche Lage geraten. Melkise und Grif hingegen erledigten in perfektem Gleichklang, was zu tun war, ließen ihre Gefangenen nie unbewacht und würden so dafür sorgen, dass sie heil und in Ketten am Bestimmungsort ankämen.
    Am vierten Tag der Wanderung holte Melkise zwei Kapuzen aus seiner Tasche hervor und stülpte sie den Gefangenen über. Talitha versuchte wieder, sich zu wehren, aber der aufmerksame Grif brachte sie, ohne dass sein Herr ihn dazu auffordern musste, schnell dazu, jeden Widerstand aufzugeben.

    »Aber mit der Kapuze kann ich doch gar nichts sehen«, beklagte sie sich.
    »Das ist egal.« Melkise zog sie hoch, ergriff ihre gefesselten Hände und legte sie auf Saiphs Schultern. »Lass sie ja liegen, verstanden!«
    Dann nahm er Saiphs Hände und legte sie sich auf die eigenen Schultern. »Und das Gleiche gilt auch für dich. Grif!«
    Der Junge wusste Bescheid und schloss sich an. Auf diese Weise marschierten sie weiter.
    »Wozu soll das gut sein?«, fragte Saiph.
    »Der gemütliche Teil der Reise ist zu Ende. Es wird ernst«, antwortete Melkise nur.
    So liefen sie immer weiter und wurde dabei noch nicht einmal langsamer. Unter ihren Füßen änderte sich die Beschaffenheit des Baumpfades. Während der Weg sich neigte, wurden die Bretter von einem harten Talareth-Ast abgelöst. Langsam verwoben sich um sie herum die Klänge. Schritte, ein Rascheln der Zweige, sogar Stimmengewirr. Sie hatten also die abgelegenen Baumpfade verlassen und folgten einer breiteren Straße. Irgendwann meinte Talitha sogar die mächtigen Atemzüge eines Drachens zu hören. Vielleicht waren sie auf die Hauptader eingebogen.
    »Wo sind wir?«, fragte sie.
    »In der Nähe von Mantela«, antwortete Melkise.
    Das war die Hauptstadt des Reichs des Herbstes, und mit Sicherheit führte die Hauptader dort entlang. Wahrscheinlich würde Melkise sie der dortigen Garde überstellen und sich das Kopfgeld auszahlen lassen. Danach würden Soldaten oder Gardisten sie nach Hause bringen.
    »Warum sind wir eigentlich nicht nach Alepha zurückgekehrt? Das wäre doch viel näher gewesen«, fragte Saiph.

    »Für einen Sklaven stellst du zu viele Fragen, mein Junge. Nun gut, wie es der Zufall so will, hält sich Graf Megassa zurzeit persönlich in Mantela auf. Er hat den weiten Weg zurückgelegt, um dir das Fell über die Ohren zu ziehen, und wenn du jetzt nicht den Mund hältst, fange ich gleich mal damit an.«
    Talitha war wie vom Donner gerührt. Das durfte nicht wahr sein: Ihr Vater hielt sich im Reich des Herbstes auf, und in wenigen Stunden würde sie vor ihm stehen. Wie weit war es noch bis zur Stadt? Wie viel Zeit blieb ihr, um sich einen Fluchtplan

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