Nashira
weitersprach. »Einem Femtiten, dem man
die Zunge abgeschnitten hat, bleibt nichts anderes übrig als die Eisminen. Das wirst du wissen. Und da geht es grauenhaft zu, wie du ebenfalls wissen wirst.«
Saiph nickte.
»Ich hab Grif zu mir genommen. Es war ein guter Kauf, den ich nie bereut habe.«
»Aber für dich bedeutet er mehr als nur ein Kauf. Das merkt man«, sagte Saiph.
Melkise blickte ihn zornig an. »Und wenn schon? Ich bin ein verdammter Talarit und darf meinen Sklaven auch ins Herz schließen, wenn mir danach ist. Das ist der Vorteil, wenn man Talarit ist. Da kann man sich solche Freiheiten erlauben. Er dagegen hat keine andere Wahl, als mir zu dienen. Und ich sag’s dir, wenn er eines Tages versteht, wie die Welt sich dreht, und sich entschließt, mir ein Messer in den Rücken zu stoßen, hat er sehr, sehr gut daran getan. Aber für dich ändert das gar nichts: Du wirst auf alle Fälle in Mantela ausgeliefert. Das ist der Lauf der Dinge.«
»Dann lass doch wenigstens das Mädchen frei. Mit dem Kopfgeld für mich hast du für den Rest deines Lebens ausgesorgt. Das Geld, das du von Megassa für sie kassieren willst, brauchst du gar nicht. Lass sie frei!«
»Warum nimmst du sie noch in Schutz? Sie hat dich nur benutzt, und ihr ist es gleich, wenn du die Sache allein ausbaden musst. Auch wenn ihre Befehle völlig absurd waren, hast du ihr immer gehorcht und sie selbst dann noch gedeckt, als sie das Kloster angezündet hat. Hab ich Recht?«
»Nein, das stimmt nicht«, antwortete Saiph gelassen.
»Ach nein? Für sie bist du auch nur ein Sklave, sonst gar nichts. Und wenn du glaubst, sie würde einmal etwas für
dich tun oder irgendwann mal deine Zuneigung erwidern, machst du dir was vor.«
»Nein, das ist nicht wahr. Sie hat mir das Leben gerettet. Und sie ist mit mir bis hierher geflohen«, erwiderte Saiph mit einem bitteren Lächeln.
Einen Moment lang schien Melkise verunsichert, dann brach er in derart lautes Gelächter aus, dass Talitha und Grif sich im Schlaf bewegten.
»Das glaub ich dir nicht«, sagte er leiser. »Ich habe deine kleine Gräfin schon mal erlebt, ist schon lange her. Früher habe ich ja mal eine gewisse Zeit im Reich des Sommers gelebt. Ich war Ladenjunge und stand nur eine winzige Stufe über den Femtiten-Sklaven dieses Händler, der mich angestellt hatte, für einen Hungerlohn ...« Er kicherte in sich hinein und fuhr dann fort: »Ich sah sie also am Laden vorübergehen. Sie wird damals nicht älter als drei oder vier gewesen sein, aber ihre Miene war schon unverwechselbar die einer Person, die Befehle erteilt. Und da ist mir klargeworden, dass es noch ein anderes Talaria gibt, zu dem sie gehört und von dem ich noch nicht einmal träumen kann.«
»Du irrst dich ...«
»Nein, du irrst dich. In einer gerechten Welt würde sie aufs Schafott geschickt, und du würdest die Belohnung einstreichen. Stattdessen wird man dir den Kopf abhacken, aber erst nachdem man dich ganz langsam entsetzlich gefoltert hat. Das ist dein Schicksal.«
»Das ist nicht mein Schicksal. Du bist es, der mich nach Mantela schafft. Du bist es, der mich zum Tode verurteilt und meine Herrin zu einem Schicksal, das für sie noch schlimmer ist.«
Melkise lächelte. »Besser du als ich. Das habe ich in meiner
Zeit als Aufseher in den Eisminen gelernt, bevor ich Kopfgeldjäger wurde. Jetzt bin ich der große Fisch und fresse dich, weil du der kleine Fisch bist. Und wenn es mir passt, kann ich einen anderen kleinen Fisch auch verschonen«, sagte er, wobei er auf Grif zeigte. »Das ist der Lauf der Welt.«
Melkise stach das Messer in den Boden und warf Saiph das Stöckchen zu, an dem er geschnitzt hatte. Es war inwendig hohl und mit sechs kleinen Löchern in einer Reihe versehen: eine Flöte. Er legte dem Sklaven eine Hand auf die Schultern und lächelte ihn aufrichtig an. »An deiner Stelle würde ich jetzt schlafen. Dir bleibt nur noch wenig Zeit, die Freuden des Lebens zu genießen.«
Dann wandte er sich ab, um Grif zu wecken. Sich die Augen reibend, richtete der Junge sich auf. Melkise gab ihm Zeit, richtig wach zu werden.
»Nur zwei Stunden, dann löse ich dich wieder ab. Und wenn du mich nicht weckst, setzt es was.«
Er warf sich auf das Lager, während Grif wieder seine gewohnte Haltung einnahm: die Beine gekreuzt, das Stilett in Händen, die Miene undurchdringlich. Saiph seufzte. Bei ihm war es aussichtslos. Weder das Verständnis, das er in seinem Blick fand, wenn sie sich ansahen, noch das
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