Nashira
ihres Vaters auf sich, und so sagte sie nur mit einem schüchternen Lächeln: »Ich bin noch jung und habe es mir noch nicht so genau überlegt. Wenn der Zeitpunkt gekommen ist, werde ich das tun, womit ich meiner Familie am besten dienen kann.«
Beifälliges Gemurmel erhob sich von der Tischgesellschaft.
»Ein äußerst kluges Mädchen«, bemerkte der Vater des Bräutigams, wobei er sich mit einem beifälligen Lächeln an Megassa wandte.
Der Graf neigte das Haupt. »Die Erziehung meiner Töchter hat mir schon immer besonders am Herzen gelegen.«
Talitha hielt den Blick auf ihren Teller gerichtet. Ihr Vater wusste überhaupt nichts von ihr, hatte sie von klein auf immer der Obhut verschiedenster Lehrer überlassen. Am liebsten wäre sie aufgestanden und hätte ihn gefragt, welches Musikinstrument sie am besten beherrschte oder wie ihr Fechtmeister bei der Garde hieß. Es wäre zu schön gewesen mitzuerleben, wie er aufs Geratewohl irgendeinen Namen stammelte und sich vor all diesen Leuten bis auf die Knochen blamierte. Aber das konnte sie sich nicht erlauben. Die väterliche Autorität infrage zu stellen, war völlig undenkbar. So biss sie sich auf die Lippen und tat weiter das, was man von ihr erwartete.
Während sich die Tischgenossen in nichtssagendem Geplauder ergingen, wurde ein Gang nach dem anderen auf-und wieder abgetragen. Talitha versuchte, sich ganz auf das Essen zu konzentrieren, so musste sie diesen Leuten, die sie
verachtete, nicht ins Gesicht schauen. Doch alles schmeckte irgendwie gleich, und so aß sie nur wenig und mit geringem Appetit. Ihr fiel auf, dass auch ihre Schwester kaum etwas anrührte und ihre Teller fast voll wieder fortgetragen wurden.
Als schließlich das Dessert – eine Milchcreme mit Zitrusgeschmack – die Bäuche der Gäste gefüllt hatte, erhob sich der Hausherr und bat alle, sich in den Blauen Salon zu begeben, um bei einem guten Brand aus bitteren Beeren geschäftliche und politische Angelegenheiten zu besprechen.
Ihr hohes Alter beklagend, zog sich Schwester Lantania zurück, vergaß allerdings nicht, zuvor noch Lebitha ans Herz zu legen, doch ebenfalls bald ihre Gemächer aufzusuchen. Talitha war erleichtert. Endlich konnte sie sich frei mit ihrer Schwester unterhalten.
»Was will die denn? Die klebt ja an dir wie ein Pilz am Baum«, stöhnte sie, und erst in diesem Moment fiel ihr auf, dass Lebithas Augen glänzten und ihre Wangen aschfahl waren. »Ist dir nicht gut?«, fragte sie.
»Ich ... nein ...«, stammelte ihre Schwester, bevor ein Hustenanfall ihre Worte erstickte. Sie hustete und hustete und spuckte Blut dabei. Schnell nahm sie eine Hand vor den Mund, konnte aber nicht verhindern, dass einige Spritzer die edlen Marmorplatten des Fußbodens befleckten.
Dann glitt sie ganz langsam zu Boden.
Die Zeit schien stehen zu bleiben. Wie erstarrt verfolgten die Gäste die Szene. Lebitha am Boden war nur noch ein rotes Bündel auf steinernen Platten. Einen Moment kam Talitha das alles völlig unwirklich vor, dann warf sie sich neben sie und rief verzweifelt ihren Namen.
4
V ielleicht ist es nur Erschöpfung, möglicherweise aber auch etwas Ernsteres«, sagte Schwester Lantania, während sie die Tür hinter sich schloss. Nur ganz kurz konnte Talitha durch den Spalt einen Blick auf Lebitha werfen, die unter mehreren Decken lag, während ein Arm am Bettrand hinunterhing.
»Kann Sie denn morgen an der Trauung teilnehmen?«, fragte Graf Megassa.
»Ausgeschlossen«, antwortete Schwester Lantania, »sie braucht absolute Ruhe und eine fachkundige Behandlung. Gleich morgen werden wir ins Kloster zurückreisen, um sie der Pflege einer Mitschwester anzuvertrauen.«
»Kommt nicht infrage«, brauste Megassa auf, »wir nehmen sie mit zu uns in den Palast. Dort wird die Heilerin meines Vertrauens ihre Behandlung übernehmen. Ihr kennt sie gut.« Und ohne ein weiteres Wort wandte er sich ab und ging davon.
Fassungslos blickte die junge Gräfin ihm nach. Selbst in dieser dramatischen Situation blieb er so kalt und gefühllos, wie er es immer war.
Langsam öffnete sie die Tür und schlüpfte in den Raum.
Dort setzte sie sich auf den Boden neben das Bett und schlug die Beine übereinander. Im Schein der Kerze auf dem Nachttisch betrachtete sie ihre Schwester. Einen Augenblick lang kam sie ihr wie eine Fremde vor, und sie erschrak, während
ihr die Angst den Magen zusammenzog. Sie griff sich in den Ausschnitt und holte ein dünnes Lederband hervor, an dem ein unregelmäßig
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