Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nashira

Nashira

Titel: Nashira Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L Troisi
Vom Netzwerk:
gezeichnet, die Oberlippe und eine Augenbraue waren aufgesprungen, und ein großer Bluterguss zog sich über seinen linken Oberkiefer.
    »Du kannst Mira danken, dass du keinen Schmerz empfindest.«
    »Eben deswegen musst du dich auch nicht so um mich bemühen. Deine Lippen bluten auch, und dir wird es wehtun.«

    Saiph streckte die Hand aus, um ihre Wunden zu berühren, doch sie entzog sich unwillig. »Lass. Mir geht’s gut.«
    Und damit begann sie, seine Wunden abzutupfen. Irgendwann hob sie, ohne Vorankündigung, seine Oberlippe an und betrachte sein Gebiss. Leise fluchend warf sie den Lappen in die Schale.
    »Was ist denn los?
    »Du hast einen Zahn verloren.«
    Er zuckte mit den Achseln. »Ach, wenn’s weiter nichts ist. Davon hab ich noch mehr als genug.« Er bemühte sich um ein Lächeln, doch Talitha reagierte nicht darauf.
    »Du hättest dich nicht einmischen dürfen.«
    Saiph sah ihr lange in die Augen. »Hast du denn heute gar nichts verstanden?« Das Mädchen sah wieder ihren tobenden Vater mit den vom Zorn verzerrten Gesichtszügen vor sich, und ein langer Schauer lief ihr über den Rücken. »Dein Vater ist so. Heute hast du sein wahres Gesicht gesehen. Er hätte nicht aufgehört«, fuhr Saiph fort.
    »Vor Schmerzen habe ich keine Angst.«
    »Vielleicht habe ich mich nicht klar genug ausgedrückt. Wenn ich sage, er hätte nicht aufgehört, heißt das: Er hätte dich getötet.«
    Talitha bemühte sich, höhnisch zu lachen, doch es gelang ihr nicht. »Das ist doch Unsinn. Ich bin seine Tochter. Und ich bin die einzige, die er noch hat«, fügte sie traurig hinzu.
    »Du kennst ihn nicht richtig. Oder zumindest kennst du diese Seite von ihm nicht richtig.«
    Sie blickte ihn aufmerksam an. »Und du schon?«
    »Ja, es war nicht das erste Mal, dass er auf mich losgegangen ist.«
    »Und du meinst, er hat dich schon öfter geschlagen?«

    »Glaubst du im Ernst, er hätte Skrupel, weil ich dein Leibdiener bin oder der Sohn der Femtitin, die deine Schwester ins Herz geschlossen hatte? Ja, er hat mich mit dem Strafstock geschlagen, oder genauer, er hat mich schlagen lassen, denn normalerweise macht er sich an Sklaven nicht die Hände schmutzig. Du hast ihn doch gesehen, an jenem Abend.«
    Mit Grauen erinnerte sich Talitha an den Sklaven, der am Tag ihrer Abreise im Hof getötet worden war.
    »Nein, er macht sich nicht die Hände schmutzig, es sei denn, er ist wahnsinnig vor Zorn. So wie heute.«
    Sie machte sich wieder daran, Saiph mit dem Lappen die Lippe abzutupfen.
    »Hast du nicht etwas, womit wir das behandeln können?«, fragte sie.
    »Unter dem Kissen liegt eine kleine Dose mit einer Salbe, die Wunden rasch vernarben lässt. Schau mal nach.«
    Talitha holte die Dose. Als sie fertig war, hob sie den Blick und sah Saiph direkt in die Augen. »Auf alle Fälle ist es deine Schuld, dass ich ihm versprechen musste, ins Kloster zu gehen«, sagte sie. »Es stimmt, vielleicht hätte er mich umgebracht, wenn du nicht dazwischengegangen wärest, aber es wäre ihm auch nicht gelungen, mir dieses verdammte Ja zu entlocken.«
    Saiph riss die Augen auf. »Ist das dein Ernst?«
    »Ich war noch nie so ernst.«
    »Aber Herrin, ich hatte doch gar keine andere Wahl. Sollte ich vielleicht so lange mit dem Fuß aufstampfen, bis er klein beigibt?«
    »Und was hatte ich für eine Wahl?«, stieß Talitha hervor. »Nur zu sterben oder ihm zu erlauben, mein Leben zu ruinieren. Denn darum handelt es sich ja: mich lebendig begraben
zu lassen, an einem Ort, wo ich für alle unerreichbar bin, ein Leben zu leben, das nichts mit mir zu tun hat, und auf alles zu verzichten, was mir das Leben lebenswert macht.«
    »Aber so ist es doch nicht.«
    »Ach nein? Du hast doch selbst miterlebt, wie meine Schwester im Kloster verkümmert und dann gestorben ist.«
    »Ja, Herrin, aber auch in der Unfreiheit gibt es Momente der Freiheit. Ich wurde als Sklave geboren und werde die Herrschaft einer Familie über mich niemals abschütteln können. Mein Körper gehört deiner Sippe, und daran kann ich nichts ändern. Aber wenn du mich fragst, ob ich mich frei fühle ... nun, dann sage ich: Ja, ich fühle mich frei, auch in Ketten. Denn trotz dieses Schicksals habe ich meinen eigenen Weg gefunden.«
    Talitha schüttelte den Kopf. »Mit solch einem Leben kann ich mich nicht, will ich mich nicht abfinden.«
    »Hast du das nicht längst getan? Du musstest akzeptieren, dass deine Schwester ins Kloster gegangen ist. Du musstest die Erziehung hinnehmen, die dein

Weitere Kostenlose Bücher