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Nashira

Nashira

Titel: Nashira Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L Troisi
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Laut zu hören. Das Kloster schlief tief und fest.
    Sie trat ein und stand in einem Raum, der ihrer Zelle ganz
ähnlich war. Nur auf dem Regal standen wohl einige Bücher mehr, und an der Wand hing ein großes weißes Tuch, das mit dem Wappen des Geschlechts der Gal, dem Grele angehörte, bestickt war: ein schwarzes Einhorn mit einer goldenen Mähne. Dieses Symbol entdeckte sie tätowiert auf der entblößten Schulter ihrer Mitschülerin.
    Grele wirkte ganz unschuldig, wie sie so dalag, auf dem Bauch, die Locken auf dem Kopfkissen ausgebreitet, die Stirn ohne Falten. Dabei hatte dieses Mädchen, dem man so tief schlafend nichts Böses zugetraut hätte, noch vor wenigen Stunden dafür gesorgt, dass ein Unschuldiger grausam gequält wurde.
    Abscheu und Verachtung überkamen Talitha, doch sie drängte das Gefühl zurück. Was sie brauchte, war ein klarer Kopf, und sie durfte nicht zögern.
    Sie drehte Grele auf den Rücken und hielt ihr eine Hand auf den Mund, während sie ihr gleichzeitig die Klinge an den Hals setzte. Das Mädchen fuhr aus dem Schlaf hoch und versuchte zu schreien, doch nicht einmal ein Röcheln entwich ihren zusammengepressten Lippen. Entsetzen hatte ihre Augen geweitet, und Talitha genoss ihre Furcht, die der von Saiph während seiner Bestrafung ähnelte. Nur war sie längst noch nicht so stark.
    »Schsch«, machte Talitha, »es soll uns doch niemand stören, oder?« Grele begann zu strampeln, doch sie setzte ihr einfach ein Knie auf die Beine und hielt sie fest. Sie lächelte finster. »So, endlich sind wir beide mal allein.« Sie presste die Klinge noch ein wenig fester an Greles Hals.
    Die Augen des Mädchens wurden feucht.
    »Diesmal bist du wirklich zu weit gegangen«, zischte ihr Talitha ins Gesicht. »Wie du siehst, bin ich bewaffnet, und
glaub mir, ich weiß, wie man einen Dolch benutzt. Versuch noch einmal, mir in die Quere zu kommen, und ich bringe dich um. Das schwöre ich dir. Und glaub mir, ich bin dazu fähig.« Sie schwieg einen Moment, um die Wirkung der Drohung zu steigern. »Du bist ja nicht dumm, also denke ich, dass wir uns verstanden haben«, schloss sie, zog dann langsam die Klinge von Greles Gurgel zurück, hob ihr Knie an und ließ die Hand sinken. Einige Augenblick lag Grele nur stumm da, und das reichte ihr, um zur Tür zu huschen und so rasch zu verschwinden, wie sie gekommen war. Erst jetzt fand Grele den Mut, lauthals um Hilfe zu schreien.

    Als sie in ihr Zimmer stürmten, lag Talitha im Bett und schlief.
    Schwester Dorothea warf alles durch die Gegend, hob jedes Buch an, leerte die ganze Truhe aus, durchwühlte das Bett. Aber von dem Dolch keine Spur.
    »Das wird ein Albtraum gewesen sein«, sagte Schwester Xane zu Grele.
    »Nein, ich habe sie gesehen! Sie war es! Sie war es!«, rief das Mädchen völlig außer sich, mit vom Weinen immer noch geröteten Augen.
    »Ich weiß gar nicht, wovon sie redet ... ich schwöre, ich hab geschlafen«, murmelte Talitha verwirrt.
    »Jedenfalls haben wir keinen einzigen Beweis, dass das Mädchen ihr Zimmer verlassen hat. Im Gegenteil spricht sehr viel dafür, dass sie die ganze Zeit über hier war«, bemerkte Schwester Xane.
    Auch wenn Schwester Dorothea innerlich vor Wut kochte, blieb ihr nichts anderes übrig, als zu nicken.

    »Aber wenn ich es doch sage. Sie war es. Warum glaubt mir denn keiner?«, kreischte Grele.
    »Du bist ja ganz durcheinander. Das muss ein schlimmer Albtraum gewesen sein. Mehr aber auch nicht. Geh auf dein Zimmer, oder ich muss dich bestrafen: Es geht nicht, dass du eine Mitschwester ohne Beweise eines solch schweren Vergehens beschuldigst«, wies Schwester Xane sie zurecht.
    Grele sah Talitha hasserfüllt an, dann wandte sie sich ab und verließ den Raum. Die Priesterinnen folgten ihr ohne ein weiteres Wort.
    Als sich die Tür hinter ihnen schloss und Talitha wieder allein war, lächelte sie.

18
    E in paar Tage lang vermied es Talitha, Saiph zu treffen. Sie ließ ihm Zettelchen in ihrem Zimmer zurück, auf denen sie ihn dringend bat, nachts den Schlafsaal nicht zu verlassen. Dabei hätte sie sich gern ein Bild davon gemacht, wie es ihm ging, aber sie wollte ihn nicht noch weiter in Gefahr bringen. Obwohl sie sicher war, Grele überzeugend verschreckt zu haben, wollte sie lieber kein Risiko eingehen. Und das hieß auch: Sie würde sich allein in den Kernbezirk schleichen.
    Schließlich schrieb sie Saiph auf einen Zettel:
     
    Ich tue es heute Nacht: Gib etwas von dem Schlafmittel, das du in dem üblichen

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