Nashira
Versteck findest, ins Essen der Vierten Schwester und leg mir die Wegbeschreibung zum Kernbezirk hin.
Die Antwort fiel knapp und eindeutig aus:
Kommt nicht infrage, Herrin. Ob es dir passt oder nicht, heute Nacht komme ich in den Maschinenraum. Tut mir leid, aber ohne mich gehst du nirgendwo hin ...
Talitha wusste sehr genau, wie starrköpfig Saiph sein konnte. Natürlich hatte er ihr immer gehorcht, es andererseits aber nie zugelassen, dass sie etwas Gefährliches auf eigene Faust unternahm. Sie stieß einen Fluch aus.
Zu Abend aß sie wenig und spähte aus den Augenwinkeln immer wieder zu Grele hinüber. Seit diese nachts Besuch bekommen hatte, hielt sie sich sehr zurück und schien keinerlei Lust mehr zu haben, ihre Nase in Dinge zu stecken, die sie nichts angingen. Talitha hätte nie geglaubt, dass diese spontane, von Rachegelüsten bestimmte Idee so rasch erfolgreich sein würde. Zum Glück hatte Grele nicht gemerkt, wie aufgeregt auch die Täterin selbst bei dem Überfall gewesen war: Eine Waffe hatte sie zwar schon oft geführt, aber doch immer nur in den Trainingsstunden, und noch nie zuvor war sie in der Situation gewesen, jemanden ernsthaft damit zu bedrohen. Ihre Hand hatte furchtbar gezittert, als sie Grele die Klinge an den Hals gesetzt hatte, und ihr Herz wie wahnsinnig in der Brust gehämmert.
Aber ihr Plan schien bislang aufgegangen zu sein, und nur darauf kam es an.
Während des Essens versuchte Talitha, so lange wie möglich in Koras Nähe zu bleiben. Sie wunderte sich selbst, als ihr klar wurde, dass sie ausgerechnet im Kloster eine so enge Freundin gefunden hatte. Kora und Schwester Pelei waren die einzigen Personen, die sie wirklich vermissen würde.
Aller Wahrscheinlichkeit nach waren dies die letzten Augenblicke, die sie mit Kora verbrachte, und die wollte sie ganz bewusst erleben. Obwohl sie nicht wusste, was sie im Kernbezirk finden würde, spürte sie, dass danach nichts mehr wie vorher sein würde. Sie hatte Kora aufrichtig ins Herz geschlossen, umgekehrt aber nie richtig verstehen können, wieso Kora ihre Nähe gesucht und sich ihr angeschlossen hatte. Denn an Freundinnen mangelte es ihr nicht, und sie war sehr gut ins Klosterleben integriert. Trotzdem suchte sie Talithas Gesellschaft, schien sich gern mit ihr zu unterhalten
und zog sie anderen Mädchen vor, obwohl die bestimmt fröhlicher und unproblematischer waren. Nur war der Augenblick gekommen war, sie danach zu fragen.
»Was findest du eigentlich an mir?«
Kora lachte. »Du bist gut. Na ja, anfangs hast du mir einfach leidgetan. Ich konnte nicht mit ansehen, wie schwer es dir fällt, dich an das Leben hier oben anzupassen. Dabei wollte ich dir helfen. Aber das ist es nicht allein. Ich mag dich, weil du anders bist, anders als alle Leute, die ich bisher kennengelernt habe.«
Talitha schwieg einen Augenblick. »Aber im Palast haben mich alle gehasst, und wenn ich es mir genauer überlege, nicht ganz ohne Grund. Ich war wirklich unausstehlich, mit voller Absicht.«
Kora zuckte mit den Achseln. »Eben, das ist es ja. Du bist nicht so leicht zu nehmen, aber genau das gefällt mir ja. Die anderen, auch ich selbst ... nun, wir wissen eben, wie man andere für sich einnimmt. Ich spüre immer, was ich sagen muss, um freundlich zu wirken und geschätzt zu werden. Dir ist das egal, du gibst dich so, wie du bist, und vor allem weißt du ganz genau, was du willst.«
»Eigentlich habe ich immer gedacht, dass du genau weißt, was du willst. Dein Glaube wirkt so aufrichtig, man merkt sofort, dass du wirklich zur Dienerin der Göttin berufen bist. Ganz anders als die meisten anderen Novizinnen«, gestand ihr Talitha. »Allerdings verstehe ich nicht, wie du es hier drinnen so leicht aushältst. Schließlich weißt du genau, welche Intrigen zwischen diesen Mauern gesponnen werden... Du selbst hast mir doch bestätigt: Wenn eine Priesterin Kleine Mutter werden will, muss ihre Familie reich und mächtig sein.«
»Ja, klar, das ist doch kein Geheimnis. Auch die jetzige Kleine Mutter wäre ohne den Einfluss ihrer Mutter, der Vorgängerin von Königin Aruna, sicher nicht so weit aufgestiegen.«
»Du kennst die Verhältnisse und weißt, dass die Religion selbst mit all dem sehr wenig zu tun hat. Da frage ich mich doch, wieso du deinen Glauben nicht verlierst«, erwiderte Talitha.
Kora brach wieder in ihr helles Lachen aus. »Ich unterscheide eben zwischen dem eigentlichen Glauben und dem ganzen Apparat, der ihn umgibt. Ich glaube
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