Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nashira

Nashira

Titel: Nashira Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L Troisi
Vom Netzwerk:
und nahm ihren Platz auf einem leicht erhöhten Podest ein.
    Schwester Dorothea trat einen Schritt vor. »Saiph, Sklave des Klosters von Messe, für das Vergehen, eine Novizin mit heißer Suppe begossen und ihr dadurch Verletzungen und Schmerzen zugefügt zu haben, wird dir eine Strafe von fünf Stockhieben auferlegt. Unter dem strengen Blick unserer Göttin Alya und in Gegenwart Ihrer Eminenz, der Kleinen Mutter, wird die Strafe sofort vollstreckt, auf dass du niemals wieder eine solche Missetat verüben mögest«, sprach sie mit lauter Stimme.
    Die Kombattantin hob den Strafstock, und der Luftkristall erstrahlte noch heller und pulsierte nun im gleichen Takt wie der Anhänger, den die Priesterin um den Hals trug.
    Die Zeit bis zum ersten Schlag kam Talitha wie eine Ewigkeit vor. Unendlich zog sich jede Wahrnehmung in die Länge, der Angstschauer, der sie überkommen hatte, das Zwitschern der Vögel zwischen den Ästen, das heftige Pulsieren des Luftkristalls an der Stockspitze.
    Saiph schaute sie an, und Talitha zwang sich, seinen Blick entschlossen und gefasst zu erwidern. Ein Blick, der ihm Mut machen und Vergeltung versprechen sollte.
    Dann fuhr der Stock auf seinen Rücken nieder. Und kaum hatte der Luftkristall seine Haut berührte, da verzerrte sich sein Gesicht vor panischem Schrecken. So hatte ihn Talitha
noch nie gesehen. Seine Züge waren zu einer obszönen Grimasse entstellt, und ein Röcheln entfuhr seinem Mund. Einen Moment lang schien er nicht mehr er selbst zu sein, sondern nur noch eine erbarmungswürdige willenlose Kreatur, die ihrer Persönlichkeit beraubt war.
    Das Mädchen war versucht, die Augen zu schließen oder einfach wegzulaufen, doch sie riss sich zusammen und blieb. Als sich der Stock wieder hob, entspannten sich Saiphs Züge sofort. Er atmete schwer, und auf seiner Stirn standen feine Schweißperlen, doch er war wieder er selbst. Erneut wandte er ihr den Blick zu, und Talitha erkannte das Flehen in seinen Augen. Sie nickte kaum wahrnehmbar und versuchte, das Entsetzen zu verbergen, das sie überkommen hatte. Dann ging der Stock zum zweiten Mal nieder, und der panische Schrecken kehrte zurück.
    Die Bestrafung schien kein Ende nehmen zu wollen, dabei war, als Saiph endlich losgebunden wurde, nur wenig Zeit vergangen. Mantes lief zu ihm und half ihm auf.
    »Merkt euch das, ihr Sklaven«, sprach Schwester Dorothea mit lauter Stimme, während sich Saiph, von Mantes gestützt, davonschleppte. »Mit dieser fürchterlichen, aber gerechten Waffe wird jeder bestraft, der sich etwas zuschulden kommen lässt. Mit ihr haben die Talariten euch Femtiten einst in die Niederungen zurückgejagt, aus denen ihr euch erhoben hattet, um die Kinder Miras zu stürzen. Tut stets eure Pflicht, dann bleibt euch dieses Grauen erspart. Verletzt ihr sie, liegt der Strafstock schon für euch bereit.«
    Sogar die Novizinnen erschauderten und zogen sich leise, gemeinsam mit den Priesterinnen, vom Ort der Bestrafung in Richtung Tempel zurück.
    Nur Talitha blieb noch.

    Niemals würde sie das, was sie da gesehen hatte, vergessen.

    Reglos saß sie in ihrer Klosterzelle und blickte auf die Kugel, die in einem schwachen Licht leuchtete. Eine Stunde hatte sie mit Schwester Dorothea – und deren Rute – Gesänge pauken müssen. An diesem Abend war es ihr noch schwerer gefallen, den Abscheu vor dieser Frau niederzuhalten.
    Es war tiefste Nacht, die dritte Stunde vor dem Morgengrauen. Es wurde Zeit.
    Vorsichtig öffnete sie die Truhe. Um sie herum war es so still, dass sie fürchtete, das Quietschen der Angeln sei im ganzen Kloster zu hören. Sie holte den Dolch hervor und zog ihn langsam aus dem Futteral, betrachtete hingerissen den Stahl, der den Lichtschein der Kugel reflektierte, und fuhr mit dem Finger sanft über die Schneide. Die Waffe war einfach wunderschön. Nur noch das lange Gewand über den Knie verknoten, und sie war bereit.
    Behutsam schloss sie die Tür hinter sich und tauchte, den Dolch fest in der Hand, in den Halbschatten des Korridors ein. Sie blickte sich um. Es war niemand zu sehen.
    Auf nackten Sohlen schlich sie lautlos weiter und hatte dabei das Gefühl, wieder in die Zeit bei der Garde zurückgekehrt zu sein. Sie erinnerte sich so genau an die Ausbildung, als sei seitdem kein einziger Tag vergangen.
    Talitha wusste, hinter welcher Tür Greles Zelle lag. Als sie die Klinke hinunterdrückte, klickte es leise. Sie hielt den Atem an. Aber alles blieb ruhig, weder im Flur noch im Zimmer war irgendein

Weitere Kostenlose Bücher