Nashville oder Das Wolfsspiel (German Edition)
und stand still.
Dahinter, neben dem Präp-Tisch, gab es nur seit Langem eingelegtes Gewebe, den Prof und Nils. Der Schmiss auf Nils’ Wange war verheilt, und er lächelte ein stolzes Siegerlächeln, obwohl er doch gar nichts gewonnen hatte. Etwas war seltsam an Nils.
Sie dachte daran, wie er im
Neckarmüller
mit Juliettas Vater gelacht hatte.
Vielleicht grillen wir demnächst mal wieder, oben, bei den Roßwiesen. Grillen und Caipi … und überreden dich, mitzukommen.
Sie fand diesen Satz am Grunde ihrer Erinnerung, er leuchtete wie ein Goldstück auf dem Grund eines Flusses. Irgendetwas bedeutete der Satz …
»So«, sagte der Prof. »Und jetzt erzählen Sie uns mal etwas über das Kopf-Hals-Gebiet, Frau Wedekind.«
»Da gäbe es die Karotiden«, sagte Svenja. »Die kann man mit einem Schnitt durchtrennen, vor allem bei Leuten, die zu schwach sind, um sich zu wehren … Aber wir waren beim Bein.« Sie schenkte dem Prof ein Engelslächeln.
Und dann vergaß sie Nils und den Goldstücksatz und fand die rote Wut in sich wieder, ihre Wut auf die Schüler im Anlagenpark – ihre Wut auf alle Menschen, die Schwächere quälten. Und sie kanalisierte die Energie dieser Wut und richtete sie gegen den Prof. Sie warf ihm die Antworten mit einer Geschwindigkeit entgegen, die ihn zurückzucken ließ, sie bügelte ihn nieder mit einer Flut aus lateinischen Begriffen.
»Das … ist genug«, sagte er schließlich. »Was war eigentlich letztes Mal mit Ihnen los? Sie sind doch ein kluges Mädchen! Gut im Auswendiglernen. Sie werden sicher eine gute Ärztin.«
»Wenn es reicht, die Akten meiner Patienten auswendig zu lernen …«, murmelte Svenja leise. »Aber was ist, wenn jemand keine Akte hat, weil er gar nicht existiert?«
Und dann musste sie zusehen, wie Friedel neben ihr ertrank. Er ging in gestotterten Worten unter, verwechselte die Begriffe, an denen er sich hätte festhalten können, und hörte ihre Flüsterworte nicht. »Dann sehen wir uns zum dritten Anlauf«, sagte der Prof. »Das wird Ihre letzte Chance. Frau Wedekind – es ist sicher nett gemeint, wenn Sie Ihrem Kommilitonen vorsagen. Aber am Ende ist das alles Darwin. Die nicht dazu gemacht sind, zu studieren, werden aussortiert. Verstehen Sie? Es nützt nichts, wenn die Starken den Schwachen helfen.«
Svenja holte Luft. Es war noch eine Menge von der roten Wut in ihr. Eine gefährliche Menge. Sie schluckte sie herunter und ging, ohne etwas zu erwidern.
Friedel verschwand irgendwohin, vielleicht aufs Klo, um allein zu sein, und Svenja trat neben Nils aus der sterilen Luft hinaus in den Tag. Er hielt ihr ein Päckchen Zigaretten hin, und sie rauchten eine Weile schweigend.
»Was sollte die Bemerkung mit den Karotiden?«, fragte er schließlich.
»Ich dachte an die Penner«, sagte Svenja. »Liest du keine Zeitung?«
»Doch«, meinte Nils und grinste. »Aber nur den Playboy. Nein, Quatsch, ich erinnere mich. Ist schon wieder eine Weile her, oder? Haben sie sich denn inzwischen alle gegenseitig abgemurkst? Arme Schweine.«
Er legte einen Arm um Svenja. »Jedenfalls herzlichen Glückwunsch zum Bestehen. Nächstes Mal beim ersten Anlauf?«
Sie drehte den Kopf, um ihn anzusehen, sein Gesicht war etwas zu nah, und auf einmal wusste sie, was seltsam war an Nils: Er lächelte ihr immer zu wie einer Verbündeten. Sein Lächeln sagte: »Küssen auf einer Party im Sudhaus? Was soll’s. Du hüpfst doch auch mit jedem in die Kiste, oder? Wir nehmen uns da nichts.«
Das fiktive Gespräch ging in ihrem Kopf weiter, sie hörte sich sagen: »Weißt du, ich habe eine brillante Idee. Du spannst Gunnar Julietta aus, und ich nehme Gunnar.«
»Das ist ein Deal«, antwortete Nils, fiktivermaßen. »Sie ist zwar acht Jahre älter als ich, aber die schönste Frau, die ich kenne. Ich unterzeichne das also. Wir sind die Bösen.«
»Natürlich sind wir die Bösen.«
Ihr wurde leicht schlecht, während sie das dachte.
In diesem Augenblick kam Friedel durch die Tür, und sie schüttelte Nils’ Arm mit einer beinahe ärgerlichen Bewegung ab. Friedel lächelte sie an, die Art Lächeln, die völlig besiegt ist.
»Noch mal das blöde Bein, und ich kotze schon vorher«, sagte er. »Keine guten Nachrichten für das Empfangskomitee.«
Svenja folgte seinem Blick. Das Empfangskomitee stand bei der Riesenvagina und wartete, ähnlich wie beim letzten Testat. Thierry und Kater Carlo hatten sich seitlich aufgebaut, Katleen stand in der Mitte, halb in die große, suggestive
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