Nashville oder Das Wolfsspiel (German Edition)
nicht, was mit dem Kleinen geschieht, wenn ich ihn jetzt laufen lasse.«
»Wir verkaufen ihn in den Sextourismus, das ist doch logisch«, sagte Katleen.
»Er wohnt bei uns«, sagte Svenja.
Und dann sagte Friedel zum ersten Mal etwas, seit sie das Sprechzimmer betreten hatten.
»Fragen Sie ihn«, sagte er. »Er ist doch kein Hund. Er ist ein Mensch. Fragen Sie ihn, ob er mit uns mitgehen will.«
Schmidt sah Nashville an. »Und?«, fragte er. »Nash… Nashville. Hör mal. Ich kann alles tun, alles. Soll ich jemanden finden, der sich um dich kümmert?«
Nashville sah ihn unter seinen geschwollenen Lidern an und grinste ganz leicht.
»Können Sie
Lili Marleen
auf dem Akkordeon spielen?«, flüsterte er.
Schmidt ließ sie laufen. Svenja atmete erst frei, als die Wände des Hauses Nummer drei sie wieder vor allen Blicken schützten: den Blicken der Behörden, der Ärzte, der Sprechstundenhilfen und der Warter in Wartezimmern.
Katleen kochte in der chaotischen Küche Eintopf, den man auch mit einer genähten Lippe essen konnte, und Svenja fütterte Nashville wie ein Kleinkind. Er saß in dem großen Bett im Dachzimmer, einen Haufen Kissen im Rücken, und versuchte manchmal, zu grinsen.
»Denk nicht, dass du jetzt bist eine Held«, sagte Kater Carlo zu ihm. »Du bist einfach nur bescheuert. Dich zu anlegen mit diesen Jungs.« Er hob eine weitere Flasche Sekt. »Auf die Bescheuerten.«
Schließlich warf Svenja den Rest der Bande aus dem Zimmer und zog die Decke über Nashville.
»Wenn du dir wünschen könntest«, sagte sie, »wie dieser Tag ausgeht …«
»Dann wäre ich gern im Paradiesgarten auf dem Österberg«, flüsterte Nashville.
»Gut«, sagte Svenja. »Mach die Augen zu. Riechst du die Blumen? Und das Gras? Wir liegen mitten darin, mitten in dem Duft nach Sonne …«
Er streckte die Hände aus, eine war jetzt geschient, damit er sie schonte, doch die andere fand Svenjas Gesicht und strich wieder über ihre Nase.
»Svenja?«
»Ja?«
»Ich liebe dich«, sagte Nashville, drehte sich auf die Seite und schlief.
Svenja trat einen Schritt von seinem Bett zurück.
»Unsinn«, wisperte sie in die träumende Abendluft. »Du bist viel zu jung, um zu lieben. Du hast keine Ahnung. Eigentlich hat niemand eine Ahnung von Dingen wie … Liebe. Es gibt sie vielleicht auch gar nicht.«
Als sie sich im Raum umsah, war sie nicht so allein darin, wie sie gedacht hatte.
Im Fenster, neben den beiden Weinflaschen mit den nicht entzündeten Kerzen, lehnte Katleen. Svenja ging hinüber und sah eine Weile gemeinsam mit ihr in den Abend hinaus.
»Was für ein Geburtstag«, sagte Katleen leise.
Svenja griff an ihren Hals und tastete nach der Glaskugelkette. »Als er da in der Küche saß, ich …« Sie spürte die Kette an ihren Halsschlagadern, kühl und angenehm. »Zuerst dachte ich, ich finde Schnittwunden«, flüsterte Svenja schließlich.
»Und Rostpartikel«, sagte Katleen.
»Wie bitte? Rostpartikel? Ich … habe keine Ahnung, wovon du redest.«
Katleen zuckte die Schultern, und das graue T-Shirt rutschte noch ein wenig weiter hinunter, entblößte noch ein wenig mehr Haut, unter der sich Oberarmmuskulatur mit lateinischen Namen abzeichnete. »Stand in der Zeitung. Ein paar Tage nach der Sache. Sag jetzt nicht, das hast du nicht gelesen.« Svenja schüttelte den Kopf.
»In den Schnittwunden des toten Penners«, sagte Katleen, »haben sie Rostpartikel gefunden. Wie von einer alten Waffe. Nicht wertvoll, kein Silber. Nur alt. Ein Dolch oder ein altes Messer.«
Svenja sah zum Bett hinüber, auf dem Nashville schlief und nichts hörte und vielleicht von den Messern im Schrank träumte.
»Hältst du mich mal einen Moment fest?«, fragte sie.
Und Katleen hielt sie fest, dort am Fenster. »Du brauchst jemanden, der dir hilft«, wisperte sie. »Friedel ist zu verpeilt, um zu helfen, richtig? Ich helfe dir, wenn du willst. Ich tue alles, was du möchtest.«
»Warum?«
Katleen zuckte noch einmal die Schultern und sah einen Moment lang weg. Sah Svenja wieder an. Schien zu schlucken. »Vielleicht mag ich dich einfach«, flüsterte sie. Und dann vergrub sie ihre Finger in Svenjas Haar und küsste sie.
13 Balken
Der nächste Morgen fand in einer Ecke des Dachzimmers, auf dem Fußboden, ein Lager aus Decken und auf dem Bett ein Kind, allein. Das Kind schlief noch immer, tief und fest.
»Guten Morgen«, flüsterte Svenja.
»Guten Morgen«, flüsterte Katleen. Und: »Wir könnten einfach so liegen bleiben.
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