Nashville oder Das Wolfsspiel (German Edition)
Für immer.«
»Nein«, flüsterte Svenja. »Etwas wird passieren.
Alles
wird passieren. Nashville braucht mich.«
»Und ich?«, fragte Katleen und sah Svenja an, auf einen Ellenbogen gestützt.
»Du bist erwachsen und brauchst nur dich selbst. Und vielleicht deine Küchenmesser.«
»Von denen er eines hat.«
»Lass es ihn behalten, bis alles vorüber ist. Bis wir den Typen haben, der seine Mutter umgebracht hat.«
»Von mir aus«, sagte Katleen. »Aber gestern Abend hast du geglaubt, dass er es selbst war.«
»Sch, sch«, sagte Svenja und legte Katleen einen Finger auf die Lippen. Ihre Lippen waren weich und ganz anders als die von Friedel. Svenja hatte in der letzten Nacht engere Bekanntschaft mit ihnen gemacht.
Sie waren sehr leise gewesen, und Nashville war nicht aufgewacht, als sie die überflüssigen Decken vom Fußende des Bettes herübergebracht hatten. Svenja sah Katleen an, ihre erstaunlich langen Wimpern und ihr kurz geschorenes Schwarzhaar, und dachte daran, wie seltsam alles gewesen war in der Nacht. Seltsam und völlig unerwartet.
Oder vielleicht doch nicht? Hatte sie geahnt, was Katleen die ganze Zeit über gewollt hatte? Sie lachte lautlos über ihre Idee, sie mit Friedel zu verkuppeln.
Die nicht ganz dunkle Dunkelheit im Haus Nummer drei hatte in ihren dunkelsten Stunden Worte gehört, Geflüster, das jetzt noch in den Bettdecken hing: »Warte – will ich das? Katleen? Ich weiß nicht. Ich weiß nichts. Ich meine, ich habe noch nie mit einer Frau …«
»Es gibt nichts zu wissen. Stell dir vor, du bist zweimal du.«
»Zweimal ich? O Gott, ich würde mich zu Tode nerven …«
»Du sollst dich auch nicht mit dir unterhalten. Sch.«
Svenja hatte gedacht, es würde ein wenig peinlich sein, aber erstaunlicherweise war es das nicht. Alles war fremd und vertraut zugleich, und sie lachten beide leise. Mit Männern konnte man nie dabei lachen. Katleen hatte viel mehr Finger als Friedel, und sie schmeckte nach den tausend Gewürzen ihrer Küche.
»All diese Nächte, die ich neben dir geschlafen habe«, flüsterte Svenja, »als Nashville krank war und wir bei dir gewohnt haben …«
»Ich habe immer wach gelegen. Du warst sehr weit weg, man konnte das fühlen. Heute Nacht bist du ganz nah. Damals hättest du nicht gefragt, ob ich dich festhalte …«
Svenja dachte an den offenen Laptop auf dem Klo. An den Satz:
Sie heißt Svenja.
Katleen hatte sie gesehen und mit der Post gewartet, um sie zu treffen, und dann hatte sie geschrieben:
Sie heißt Svenja
, an wen auch immer. Vielleicht an sich selbst. Lieber Gott, sieh zu, dass das nicht die nächste Person ist, die mir eine Liebeserklärung macht.
Sie machte keine.
Jetzt, bei Tageslicht, sah Svenja, dass Katleen schön war. Und sie dachte einen seltsamen Satz, sie dachte: Warum kann ich nicht fühlen? Friedel, Katleen … Warum kann ich nicht sagen: Ich liebe dich auch? Warum denke ich an Gunnar? Sie fand hundert winzige Härchen auf Katleens Armen, die in der Sonne leuchteten, und fragte sich, wie Gunnars Arme aussahen. Sie fuhr mit dem Zeigefinger die Haut entlang bis zu Katleens Hals, bis zum Pulsen der Schlagadern.
»Friedel hat Schnitte in den Oberarmen«, sagte sie. »Von Fensterglas. Angeblich.«
»Svenja?«
Sie fuhr herum. Nashville saß aufrecht im Bett, die Augen noch immer zugeschwollen.
Sie hatte nichts an, dachte Svenja. Ihre Kleider lagen irgendwo beim Fenster. Sie stand auf, nackt, und ging zu ihm hinüber, um sich auf die Bettkante zu setzen. Um einfach so zu tun, als wäre es normal, dass sie nackt war.
»Guten Morgen. Alles in Ordnung?«
»Geht so«, sagte er. Er sah nicht wesentlich besser aus als am Abend zuvor.
»Ich ziehe mich an und sehe nach, ob man aus irgendetwas in der Küche ein Frühstück machen kann«, sagte Svenja.
Nashville nickte. Er sah zu Katleen hinüber, die sich die Decke bis zum Kinn gezogen hatte, da sie ebenfalls nackt war.
Frag nicht, frag nicht, frag nicht.
»Svenja?«, fragte Nashville. »Kannst du mir das Akkordeon mitbringen? Es ist irgendwo in der Küche.«
Nashville verbrachte drei Tage beinahe ausschließlich im Bett.
Friedel half Svenja, seine Verbände zu wechseln, und seltsamerweise wurde ihm dabei nicht schlecht.
Die meiste Zeit schlief Nashville, die Begegnung mit den Jungen hatte ihn seine letzte Kraft gekostet. Wenn er wach war, sah er Svenja an, die neben ihm lag, den Glasregenbogen um den Hals, und zum hundertsten Mal die Sätze las, die im
Schiebler
über das Bein
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