Nashville oder Das Wolfsspiel (German Edition)
Ritze gelehnt, und oben auf dem Stein saß Nashville.
Er hatte also beschlossen, endlich das Bett zu verlassen. Die Spuren in seinem Gesicht waren noch immer deutlich erkennbar, aber er sah aus, als wäre das Licht der Glaskette endlich zu ihm durchgedrungen. Er saß nicht nur dort oben, er thronte, der König des Hauses Nummer drei, der König der Straßen. Svenja merkte, wie sich ein Strahlen über ihr Gesicht breitete.
Bei der Vagina umringte das Empfangskomitee sie. Als die anderen hörten, dass Friedel es wieder nicht geschafft hatte, schimpften sie gemeinsam auf die Ungerechtigkeit des Lebens.
»Heute Abend wir feiern«, sagte Kater Carlo. »Feiern, dass jede Menschen hat zwei Beine, egal wie heißen die Stücke davon auf Latein. Thierry und ich haben eingeladen eine paar Leute.«
»Es ist mal wieder Zeit für einen Werwolfabend im Haus Nummer drei«, sagte Thierry. »Svenja hat noch keinen erlebt, glaube ich.«
»Werwolfabend?«, fragte Svenja alarmiert.
»Wir beißen uns gegenseitig die Halsschlagadern durch«, erklärte Thierry liebenswürdig. Dann lächelte er ein weichlippiges, hintergründiges Lächeln. »Nein. Es ist nur ein Spiel.«
»Ein Spiel im Dunkeln«, flüsterte Katleen und hakte sich bei Svenja ein.
Svenja drückte ihren Arm kurz und hakte sich wieder aus.
Da war noch jemand, jemand stand außerhalb der Gruppe, ganz allein, sie hatte ihn nur aus dem Augenwinkel gesehen … Sie drehte sich um.
Es war Gunnar.
Svenja blinzelte, aber er war es wirklich, er stand da, etwas verlegen, und schien darauf gewartet zu haben, dass sie ihn bemerkte. Auf der anderen Seite der Haus-Nummer-drei-Gruppe stand Nils, es war eine seltsame Art von Symmetrie. Nils sah Gunnar und Gunnar sah Nils an. Dann nickte Nils, ernster als zuvor, aber noch immer mit diesem Gewinnergesicht, und ging zu seinem Rad. Svenja trat zu Gunnar.
»Und?«, fragte er. »Geschafft? Herzlichen Glückwunsch. Ich bin gekommen, weil … Ich hatte die ganze Zeit ein schlechtes Gewissen. Wegen des Jungen. Aber es geht ihm wieder gut, ja?«
Nashville kletterte gerade von dem Stein auf Kater Carlos hohe, breite Schultern.
»Sieht so aus«, meinte Svenja und lächelte. »Der Arzt am Europaplatz war sehr nett. Er hat nicht mal Geld genommen. Diese Jungs … Schüler …« Sie sprach jetzt ganz leise, sie hörte sich kaum selbst. »Ich kann sie nicht anzeigen, denn dann fliegt die Sache mit Nashville auf. Sie hätten ihn umbringen können, weißt du? Darwin … der Prof dadrin hat über Darwin gesprochen … Die Schwachen überleben nicht. Das Arschloch!«
Gunnar nickte vage.
»Du hast gesagt, wenn du ein Kind hättest, mit Julietta«, fuhr Svenja fort, »dass du es einschließen würdest, damit niemand ihm etwas tut. Schützen und stillhalten. Das ist so … passiv. Bei mir ist es umgekehrt, glaube ich. Wenn ich jemanden erwischen würde, der ihm etwas tut … Vielleicht bin ich imstande, zu töten. Ich weiß es nicht.« Sie lachte. »Nein, das ist natürlich Quatsch.«
Gunnar blickte den anderen nach. Sie waren auf dem Weg hinunter zu den Rädern, Carlo und Thierry hatten Friedel in die Mitte genommen und jeder einen Arm um ihn gelegt.
»Er ist durchgefallen, oder?«, fragte Gunnar. »Schon wieder?«
Svenja nickte.
»Ich bin nie durch ein Testat gefallen«, sagte Gunnar nachdenklich. »Aber wenn ich mir das so ansehe, denke ich, ich hätte es tun sollen.« Er lachte leise. »Man scheint weniger allein zu sein.«
Svenja sah sein Kastanienhaar an, das irgendwie zu sorgfältig gekämmt war, und verspürte den dringenden Wunsch, hindurchzustreichen und es durcheinanderzubringen. Gunnars Leben durcheinanderzubringen. Er war so gefangen in seinen Idealen. Nur die Sommersprossen schienen manchmal in einem Anfall von Anarchie davonfliegen zu wollen.
»Hör mal, wenn du freihast«, sagte sie aus einem plötzlichen Impuls heraus. »Wir haben heute Abend so was wie eine Party. Komm doch auch. Ulrichstraße drei. Ich weiß, du hast keine Zeit. Komm für eine halbe Stunde. Gegen neun oder so. Du kriegst einen Kaffee, ich verspreche es. Wir wollen nur etwas spielen. Es ist immer gut, ein paar mehr Leute zu haben beim Spielen.« Sie zögerte einen Moment lang.
Ich bin nicht Nils. Auch wenn Nils das denkt.
»Bring sie mit«, sagte sie. »Bring Julietta mit, ja?«
Der Abend gebar eines der Wärmegewitter dieses Sommers.
Das Haus Nummer drei flackerte im Kerzenschein, der Strom war weg, weil das Kabel vom Nachbarhaus hinüber war,
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