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Nashville oder Das Wolfsspiel (German Edition)

Nashville oder Das Wolfsspiel (German Edition)

Titel: Nashville oder Das Wolfsspiel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
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gutgetan. Da war nicht nur ein Loch im Dach. Auch einer der Schrägbalken in der Kammer war gebrochen; das Stück, das auf den Boden gestürzt war, hatte den Knall verursacht. Selbst im schwachen Licht der Kerze, die Thierry trug, sah man deutlich, wie morsch und wurmstichig das Innere des dicken Balkens war.
    »Ein Glück, dass das nur die linke Dachkammer war, was?«, sagte Svenja leise. »Ich wette, im großen Dachzimmer sind die Balken ähnlich morsch. Und du hast es mir nicht gesagt.«
    Friedel hob hilflos die Arme. »Sie brechen nicht vom Hingucken. Svenja, ich …«
    Sie stand einen Moment lang im Türrahmen der völlig zerstörten äußeren Dachkammer und versuchte, vernünftig zu denken. Dann drehte sie sich um und ging zurück zur Treppe.
    »Ich brauche frische Luft«, sagte sie. »Die Sorte, die nicht auf einen fällt und Balken mitbringt.«
    »Wir machen mal eine Spielpause«, sagte Katleen.
     
    Sie ging nicht direkt hinunter, sie zog ihren Vater in das Kofferzimmer im ersten Stock.
    »Hier wohnst du übrigens heute Nacht«, sagte sie. »Ich hatte alles schön eingerichtet … aber wenn uns jetzt das Haus über dem Kopf zusammenbricht …«
    Ihr Vater strich mit einem Finger über die Blätter von einem der Zweige in dem Bierglas.
    »Du zahlst keine Miete hier«, sagte er. »Für umsonst kann man nicht viel erwarten.«
    »Ja, und jetzt verstehe ich auch, warum vor mir niemand im Dachzimmer wohnte«, knurrte Svenja.
    Ihr Vater stand neben dem Koffertisch und zuckte hilflos die Schultern.
    Und sie dachte wieder, wie sehr er Friedel glich.
    »Warum habt ihr euch getrennt?«, fragte sie plötzlich. »Was war der Auslöser? Ich meine … Hast du jemand anderen? Hat Mama jemand anderen?«
    Er schüttelt langsam den Kopf. »Es war vermutlich genau wie hier. Die Balken sind gebrochen. Der letzte Balken warst du. Du hast uns erklärt, dass du ausziehen wirst, und die ganze Konstruktion ist in sich zusammengefallen.«
    »Ich war schuld. Quasi. Zuerst war ich schuld, dass ihr geheiratet habt, weil ich geboren wurde, und dann war ich schuld, dass ihr euch wieder getrennt habt. Das gleicht es irgendwie aus, oder? Es ist jetzt so wie vorher. Als hätte es nie eine Familie gegeben. Das Haus war von Anfang an schlecht gebaut.«
    Ihr Vater nickte. »Natürlich. Aber es war schön. Erinnerst du dich nicht? Es war achtzehn Jahre lang ein wunderschönes Haus. Jetzt …« Er zuckte die Schultern. »Egal. Man kann auch von Erinnerungen leben. Und ich war immer zu sehr ich. Zu chaotisch. Ich kann nicht anders.«
    Die Schwachen und die Starken, hatte der Prof gesagt. Nein, sie war nicht dafür, die Schwachen untergehen zu lassen. Aber es war zu einfach, nur zu behaupten, man würde zu den Schwachen gehören.
    »Natürlich kannst du anders«, sagte sie kalt. »Du bist doch nicht neunzig. Das Leben ist nicht vorbei. Mach was mit diesem blöden Leben. Mach irgendwas damit.«
    Dann ließ sie ihn stehen und ging nach unten, um zu rauchen.
     
    Auf der Treppe war plötzlich ein Schatten neben ihr, wie eine Katze, die einem unbemerkt um die Beine streicht, und sie erschrak. Nashville. Sie hatte ihrem Vater noch immer nicht erklärt, wer Nashville war. Er hatte nicht gefragt. Hatte er eigentlich je gefragt? War er nicht immer zu sehr damit beschäftigt gewesen, sich leidzutun oder sich charmant zu finden, weil er nichts auf die Reihe bekam?
    Vor der Haustür war der Regen verloschen wie ein Waldbrand. Auch der Sturm legte sich langsam, seine Überreste zuckten noch in den abgebrochenen Ästen des Ahorns, die am Fuß der Eingangstreppe lagen. Svenja lehnte sich gegen das alte verbogene Metallgeländer und holte ihre Zigaretten heraus. Nashville kletterte auf das Geländer. Sie schwiegen lange.
    Drinnen, hinter den Fenstern, schwebten die Stimmen der anderen. Irgendjemand rauchte auf dem Balkon, allerdings keine Zigarette.
    »Der nächste Sturm nimmt das Haus mit«, sagte Svenja schließlich.
    »Wohin?«, fragte Nashville.
    »Ich weiß nicht. Dahin, wohin die Züge fahren. Wenn man sie anständig füttert. Nashville … Wir sollten ausziehen, oder? Was ist, wenn noch ein Balken bricht? Und was war das eben mit Gunnar? Meine Gedanken sind völlig verknotet. Dieses seltsame Spiel. Es kommt mir so … so
wirklich
vor … Und dann mein Vater, der eigentlich Friedel ist, oder Friedel, der irgendwann so sein wird wie mein Vater … Es sind einfach zu viele Gedanken in meinem Kopf.«
    »Kenn ich«, sagte Nashville. »Umgekehrt ist es

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