Nashville oder Das Wolfsspiel (German Edition)
die Hände um ihren Hals gelegt. Jetzt pustete er ihre Kerze aus. »Alle außer Christin.«
Irgendwie erstaunte es Svenja, dass sie einen Namen hatte. Thierry nahm die Hände von ihrem Hals.
»Du darfst mit offenen Augen tot sein«, flüsterte Friedel, der neben ihr saß.
»Ein Glück«, sagte Christin und angelte nach der Weinflasche.
»Nun müssen die Menschen sich einigen«, fuhr Thierry fort, »wen sie für einen Werwolf halten und exekutieren. Die Angeklagten dürfen sich natürlich verteidigen. Jede Nacht stirbt ein Mensch, und jeden Tag wird ein Angeklagter getötet. Ob es wirklich ein Werwolf war, wissen wir leider erst am Ende des Spiels. Es gewinnen die Wölfe oder die Menschen. Je nachdem, wer übrig bleibt.«
Seltsam, dachte Svenja. All seine Worte kamen ihr symbolisch vor. Am Ende des Spiels würde sie die Wahrheit über den Österbergmörder wissen. Aber wann würde das Spiel zu Ende sein? Wie viele Runden mussten bis dahin noch gespielt werden, wie viele Nächte vergehen?
»Ich denke, Svenja ist ein Werwolf«, sagte ihr Vater und grinste. »Ich habe etwas bei ihr rascheln gehört, als wir die Augen zuhatten.«
»Was? Unsinn!«, sagte Svenja. »Ich nehme fast an, du bist ein Werwolf. Wer so schnell jemanden beschuldigt …«
»Ich tippe auf Katleen«, sagte Kater Carlo. »Sie braucht noch Fleisch von Mensch für ihre nächste Topf. Eintopf, ich meine.«
Als sie am Ende abstimmten, wurde Svenjas Vater gelyncht, und er schien erleichtert über seinen eigenen Tod zu sein, blies das Teelicht selbst aus und stand auf, um sich ein Glas zu suchen.
»Bei unserer Spielvariante erfahren wir leider erst ganz am Ende, ob der Gelynchte ein Werwolf war oder ein ehrlicher Bürger«, flüsterte Thierry. »Es wird wieder Nacht im Haus Nummer drei. Die Wölfe erwachen, und das Mädchen blinzelt …«
Und der Regen regnete, und der Wind wehte, und die Nacht schritt voran … und die Teelichter flackerten, wo noch jemand lebte.
Nashvilles Teelicht stand auf dem Küchenschrank. Und Runde um Runde flackerten weniger Flammen, aber die auf dem Küchenschrank flackerte weiter. Friedel sagte beinahe nichts. Nashville sagte gar nichts. Die Töne des Akkordeons begleiteten das Spiel, vereinzelt wie Windstöße. Svenja blinzelte erst in der letzten Runde. Sie sah keinen Wolf. Sie sah, dass jemand am Fenster stand, draußen, im strömenden Regen.
Es war Gunnar, und er war allein.
Er würde die Haustür schon finden. Aber sie lächelte still in sich hinein. Dann schloss sie die Augen wieder und spürte kalte Hände im Nacken. Sie schrie.
»Alle erwachen wieder«, sagte Thierry. »Außer … leider … Svenja.«
Sie sah zum Fenster. Dort stand niemand.
Auf dem Tisch flackerte nur noch ein Teelicht. Es gehörte Kater Carlo. »Seht ihr«, sagte er triumphierend. »Hab ich gewonnen. Bin die letzte überlebende Idiot.«
»Nein, Katerchen«, sagte Thierry. »Da ist noch jemand. Auf dem Schrank. Es wird wieder Nacht …«
Svenja behielt die Augen offen, sie war ja tot.
Thierry zuckte die Schultern, warf einen Blick zu Nashville und blies Kater Carlos Kerze aus.
»Sieht aus«, sagte er, »als hätten die Wölfe gewonnen.«
»Wie?«, fragte Kater Carlo verwirrt.
»Einen habt ihr exekutiert, ganz am Anfang«, sagte Thierry und lächelte. »Svenjas Vater. Der andere hat schön leise und allein die ganze Zeit weitergemordet.«
Die Spielkarten wurden wieder gemischt und verteilt, Friedel fand eine neue Weinflasche und goss allen nach, in Schnaps- und Wassergläser, in Tee- und Kaffeetassen, denn es gab keine Weingläser im Haus Nummer drei. Svenja hatte einen komischen Geschmack auf der Zunge und trank ihn weg.
Nashville kletterte vom Schrank und setzte sich neben sie.
Seine Augen glänzten.
»Ich möchte wieder Wolf sein«, flüsterte er.
»Das kann man sich nicht aussuchen«, sagte Svenja und lachte.
»Leider«, sagte Nashville. »Tut mir leid, dass ich dich umgebracht habe. Es musste sein.«
Und dann öffnete sich die Tür, und ein rotblonder Helm aus Haar schob sich hindurch. Sie hatte ihn sich also doch nicht einbildet. Hatte er so lange gebraucht, um die Haustür zu finden?
»Svenja hat gesagt, ihr … ihr braucht noch Mitspieler?«, fragte Gunnar. »Ich habe geklingelt, aber …«
»… der Strom ist weg«, sagten alle im Chor.
»Das ist Gunnar«, sagte Svenja. »Ich hoffe, es ist okay, dass ich ihn eingeladen habe … Ich hatte ja gehofft, er kommt mit seiner Freundin …« Haha. »Damit wir
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