Nashville oder Das Wolfsspiel (German Edition)
besser, wirklich.«
Er ließ sich vom Geländer nach unten fallen, aber er fiel nicht, er hing mit den Füßen daran. Svenja trat die Zigarette aus, kletterte ebenfalls aufs Geländer und hängte sich neben Nashville. Die Nacht kehrte sich um. Zwischen den Wolken, die sich zurückzogen, schwammen Sterne. Svenja sah den Ahorn falsch herum und Nashville richtig herum.
»Weißt du«, sagte Nashville leise. »Deshalb bin ich wahrscheinlich dageblieben. Weil du das gemacht hast.«
»Was?«
»Du hast dich auf den Kopf gestellt. Ganz am Anfang. Als ich im Schrank war. Du warst so herum wie ich. Das hat sonst keiner gemacht. Sirja auch nie.«
»Sirja war deine Mutter«, sagte Svenja. »Ich kann sie nicht ersetzen.«
»Nein«, sagte Nashville schlicht.
In diesem Augenblick ging die Tür auf, und jemand kam auf dem Kopf heraus, obwohl der Jemand natürlich richtig herum ging.
»Svenja«, sagte Friedel und sah sie an, als bemerkte er gar nicht, dass sie umgekehrt war. »Ich wollte nur sagen, dass es mir leidtut. Ihr könnt in ein anderes Zimmer ziehen. Weiter unten. Ich wollte euch das schönste geben, das war alles. Ich hätte nie gedacht, dass die Balken
so
morsch sind …«
»Wenn ich dich das nächste Mal im
Neckarmüller
besuche, habe ich ein Bier gut«, sagte Svenja, plötzlich versöhnlich.
Es war unmöglich, lange böse auf Friedel zu sein. Alles, was er tat, war zu … versehentlich. Bei ihrem Vater war es ähnlich.
»Ich … arbeite nicht mehr im
Neckarmüller
. Hat sich so ergeben.«
»Sie haben dich rausgeschmissen.« Svenja seufzte. »Was war es diesmal?«
»Ach, nichts Wildes. Nur ein paar Termine vergessen. Ich finde was Neues. Svenja?« Es war seltsam, wie er sie von oben aus ansah. »Verzeihst du mir die Balken? Bitte.«
»Erklär mir was.«
»Was?«
»Wie ist das letzte Spiel ausgegangen? Wer hat gewonnen? Ich war mal wieder ein Mensch, Nashville und ich waren übrig, aber wir waren das Liebespaar … Wie konnten nur wir beide übrig bleiben? Wer war der Wolf?«
Friedel lächelte. »Die Lösung ist zu einfach. Da musst du selbst drauf kommen. Viel interessanter finde ich, wie dieser junge Herr hier alle ausgetrickst hat …«
Nashville sah Friedel an, ohne zu blinzeln, sein Gesicht ernst und leer, die Gedanken dahinter gut versiegelt.
»Gehen wir wieder rein?«, fragte Friedel. »Es gibt Nachtisch. Schokoladenkuchen. Von Katleen.«
»Dann gehen wir rein«, sagte Nashville und stellte sich wieder richtig herum hin. Svenja kam etwas langsamer auf die Beine. Sie blieb noch einen Moment lang stehen, allein unter den Sternen, die wie Nadelpunkte den Himmel durchstachen. Und plötzlich sah sie, dass unter dem Ahorn, zwischen den abgebrochenen Ästen, zwei Schatten standen. Sie erschrak so, dass sie sich an dem alten Metallgeländer festhalten musste.
»Hallo?«, fragte sie in die Stunde zwischen ein und zwei Uhr hinein. »Wer ist da?«
Die Schatten traten ins Licht, beinahe verlegen. Es waren Nancy und der Junge zwischen den Zeilen. »Was macht ihr hier, um diese Zeit?«
»Man ist mal da und mal dort«, murmelte der Junge zwischen den Zeilen.
»Quatsch nicht, von wegen mal da und mal dort«, sagte Nancy. »Wir haben Schiss. Vor dem Wahnsinnigen, der in der Stadt rumschleicht. Der kennt die Plätze, wo wir bei Regen sind, wetten? Sind ja meistens die Unterführungen …«
»Kommt rein«, sagte Svenja. »Wir spielen. Mitspieler kann man immer gebrauchen. Aber zieht eure Schuhe im Flur aus.«
»Mädchen«, sagte Nancy und schüttelte den Kopf. »Ich
habe
keine Schuhe.«
In der Küche saß Gunnar mit einer Tasse schwarzem Kaffee vor sich und unterhielt sich mit Katleen. Als Svenja mit den anderen beiden hereinkam, zuckte er zusammen, stieß die Tasse um und murmelte eine Entschuldigung, bereits nach einem Lappen suchend.
»So erschreckend bin ich doch gar nicht«, sagte Svenja.
»Doch«, sagte Gunnar und lächelte sein Kleinjungenlächeln. Seine Sommersprossen waren ein bisschen blasser als gewöhnlich. »Der Schokoladenkuchen ist es wert, zu bleiben, übrigens.«
Svenja sah in seine Tasse, in der noch Reste von Braun klebten. »Ich dachte, das war Kaffee?«
»Und? Wie geht es Ihnen?«, fragte Gunnar mit einem prüfenden Blick zu Nancy.
»Oh, ich bin auf zwei Beinen unterwegs«, sagte Nancy, unfreundlich vor Verlegenheit. »Habt ihr ein Klo? Dann könnte man sich da was Trockenes anziehen …«
Svenja zeigte es ihr. Sie wartete, während Nancy mit ihrem alten Plastikrucksack für
Weitere Kostenlose Bücher