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Nashville oder Das Wolfsspiel (German Edition)

Nashville oder Das Wolfsspiel (German Edition)

Titel: Nashville oder Das Wolfsspiel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
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Hängematten, schlenderte nach Ladenschluss langsam und alleine durch die Stadt. Vor dem Gummibärchengeschäft blieb sie stehen und sah sich die bunte Auslage an.
    Am allerersten Tag hatte sie hier nach dem Weg zur Polizei gefragt.
    Nashville war ein Kind. Egal, was er getan hatte, es hatte nichts mit der Polizei zu tun. Die Psychiatrie war der richtige Ort. Sie würden ihm dort helfen.
    Durch diese Straße, sagten ihre Schritte, bin ich mit Nashville gegangen. Hier hat er mich dies gefragt, da habe ich ihm jenes geantwortet. Die Stadt war voller Erinnerungen, und alle Bäume spielten
Lili Marleen
auf ihren Ästen. Schließlich schleppte Svenja ihre Füße doch zu der Terrasse mit der blauen Bank.
    Es dämmerte schon. Gunnar saß in der Küche an seinem Laptop, aber er sah nicht sonderlich konzentriert aus.
    »Und?«, fragte sie, noch in der Küchentür. »Wie ist es gelaufen?«
    Er klappte den Laptop zu. »Schief«, sagte er.
     
    Beinahe lachte Svenja vor Erleichterung. Gunnar hatte es nicht geschafft, ihn abzugeben. Das Leben war turnschuhgelb. Saß er auf dem Dach? Stand er kopf in einem Schrank? Würde er gleich mit einer weiteren gefundenen Melone in der Tür stehen?
    »Wo ist er denn?«, fragte sie.
    »Das ist das Problem«, sagte Gunnar. »Ich weiß es nicht.«
    Er stand auf und ging zum Fenster. »Scheiße, Svenja. Er ist mir abgehauen. Ich dachte, wir nehmen den Bus, da an der Brücke. Ich habe ihm gesagt, ich erkläre ihm später, wohin wir fahren, und dass es eine Überraschung ist. Und dann habe ich auf den Verkehr geachtet, und ich habe die Hand nach ihm ausgestreckt wie nach einem kleinen Kind, um mit ihm über die Straße zu gehen … dumm, furchtbar dumm. Da war mal ein Notarzteinsatz, da auf der Brücke. Ein Unfall. Ich habe der Feuerwehr geholfen, ein totes Kind aus einem Auto zu schneiden. Vielleicht war ich deshalb so übervorsichtig. Es war ein Fehler, ihn an der Hand festzuhalten. Er hat sich losgerissen und ist gerannt, mitten durch den Verkehr. Da war jemand auf der anderen Straßenseite. Er hat jemanden gesehen …«
    »Wen?«, fragte Svenja, und es war mehr ein Einatmen als eine Frage. »Wer war da?«
    Gunnar schüttelte langsam den Kopf. »Es ging alles zu schnell. Er hat die Hand gehoben, die freie Hand, als würde er winken, und dann war er schon auf der Straße, und dann war er weg. Ich bin ihm nachgerannt, natürlich. Ich habe die ganze verdammte Innenstadt abgeklappert. Ich …«
    »Mach dir keine Sorgen«, sagte Svenja und stellte sich neben ihn, so dicht, dass sich ihre Schultern berührten. »Er kommt wieder. Er kommt immer wieder. Ich frage mich nur, wem er gewinkt hat. Nancy? Meinst du, Nancy ist wieder aufgetaucht?«
    Gunnar zuckte die Schultern. Als sie ihn ansah, standen in seinen Augen Tränen. Zum ersten Mal sah sie Gunnar mit Tränen in den Augen.
    »Was ist denn?«, flüsterte sie. »Es ist doch nicht so schlimm …«
    »Ich … ich habe telefoniert, vorher, mit der Klinik in Reutlingen. Ich dachte, er hört es nicht, ich habe ganz leise gesprochen … Was ist, wenn er es doch gehört hat? Wenn ihm erst auf der Straße klar geworden ist, was es bedeutet, dass ich mit der Klinik telefoniert habe? Dann kommt er nicht wieder. Ich habe es vermasselt.«
    Sie nahm ihn in die Arme und wischte seine Tränen mit ihren Zeigefingern weg.
    »Nimm den Laptop und geh in dein Café arbeiten«, sagte sie, obwohl sie ihm tausend andere Dinge lieber vorgeschlagen hätte. »Alles ist in Ordnung. Heute Abend ist er wieder da.«
     
    Er war nicht da.
    Nicht abends und nicht am nächsten Morgen. Und nicht am nächsten Abend.
    Und so begann Svenjas Suche.
    Sie klapperte alle Orte ab, die ihr einfielen, die Stadt wurde zu einem Spielbrett, aber für das Spiel, das sie spielte, hätte sie mehr Figuren gebraucht. Vielleicht, dachte sie, versteckte sich Nashville in ihrem Schatten, vielleicht folgte er ihr, und sie sah ihn deshalb nie, weil er hinter ihr ging. Auf irgendeine Weise. Gunnar half ihr suchen, natürlich. Aber Gunnar musste auch arbeiten. Er fragte Julietta. Er hatte ihr wohl inzwischen die Wahrheit erzählt.
    »Armes Mädchen«, sagte Julietta, als sie sich einmal trafen. Sie schien nicht sauer zu sein, dass sie angelogen worden war. Sie strich Svenja übers Haar, als wäre alles anders, jetzt, da sie wusste, wie viel jünger Svenja war. »Armes Mädchen. Wir finden ihn, sicher.«
    »Vielleicht ist er ein Mörder«, sagte Svenja leise.
    Julietta legte einen schlanken Arm in einem

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