Nashville oder Das Wolfsspiel (German Edition)
deine Schuld, dass sie tot ist.«
Nashville nickte und schloss die Augen, und Svenja blieb bei ihm sitzen, seine Hand in ihrer, bis sie sicher war, dass er schlief. Da strich sie noch einmal durch sein Haar und stand auf. Und musste eine Sache herunterschlucken, die nicht nach Limetten schmeckte, sondern nach Angst.
Wollte sie überhaupt, dass Nashville sich erinnerte? An die Wahrheit?
Sie drehte sich um und fand Gunnar noch immer im Türrahmen. Er musste eine Ewigkeit dort gestanden haben. Sie ging zu ihm und umarmte ihn.
»Entschuldigung«, flüsterte sie. »Ich brauche nur gerade selber etwas, um mich daran festzuhalten …«
»Stets zu Diensten«, sagte Gunnar und schloss leise die Tür zum Gästezimmer.
Er nahm sie mit hinüber in sein Schlafzimmer, und sie setzten sich aufs Bett.
Aber sie waren beide zu müde, um zu sitzen. Er machte das Licht aus, und sie ließen sich zurück auf die Matratze fallen. So lagen sie eine Weile, nebeneinander, und sahen an die Decke, die in der Dunkelheit nicht zu sehen war.
»Wir sollten über ein paar Dinge reden«, begann Gunnar schließlich. »Was heute passiert ist … Er hat alle wahnsinnig erschreckt. Juliettas Vater vielleicht nicht am meisten. Ihrer Mutter geht es schlechter. Und die Zwillinge …«
»Die Zwillinge mögen ihn«, sagte Svenja. »Sie haben mit ihm Kopfstand gemacht, auf der Wiese.«
»Und eines Tages bringt er ihnen bei, wie man Gläser in der Hand zerdrückt und Leute mit Scherben bedroht.«
Svenja rollte sich auf die Seite, um ihn anzustarren, obwohl sie ihn im Dunkeln kaum sah. »Warum sagst du das?«
»Svenja.« Gunnar seufzte. »Es gibt ein Grundproblem. Und du willst es nicht sehen. Eine Grundwahrheit.«
»Und?«, fragte sie, plötzlich böse. »Die ist?« Aber sie fürchtete sich vor dieser Grundwahrheit. Mehr, als sie sagen konnte.
»Ich mag Nashville, das weißt du. Und es gibt Erklärungen für alles, es gibt Gründe. Sein Leben, bevor er zu dir kam. Die Sache auf dem Österberg. Aber die Erklärungen ändern die Tatsachen nicht.«
»Und was ist nun die gefeierte Grundwahrheit?«
»Sei nicht so sauer«, flüsterte Gunnar. »Es ist nicht meine Schuld. Die Wahrheit ist: Nashville ist ein tief gestörtes Kind. Weder du noch ich kommen mit ihm klar. Und jetzt werde ich sagen, was dir schon viele Leute gesagt haben und was du nicht hören willst.«
»Nein! Sag es nicht!«
Gunnar schwieg.
Die Nacht schwieg.
Das Bett und der Raum und die ganze Wohnung schwiegen, der Neckar schwieg, die Stadt schwieg.
»Was ist am Österberg wirklich geschehen?«, flüsterte Gunnar schließlich. »Was ist wirklich mit den anderen geschehen, die gestorben sind?«
»Er sammelt Messer, ich weiß«, sagte Svenja. »Aber …«
Und sie dachte an Nashville, der mit einem Messer in der Hand im Flur des Hauses Nummer drei stand. Beim letzten Mal, als sie in der Gegend gewesen war, hatte es das Haus noch gegeben. Beinahe wünschte sie sich, sie würden sich mit dem Abreißen beeilen, damit das Bild von Nashville mit dem Messer in der Hand ebenfalls zu Staub zerfiel.
»Er verschwindet ab und zu, nachts. Aber …«
»Aber«, sagte Gunnar, »Svenja … die Geschichte mit seiner Mutter … Erst dachte ich, er weiß, wer der Mörder ist. Sie wissen es alle, Nancy und er und die anderen … Sie wissen es, dachte ich, und sagen es nicht, weil sie auf eine Gelegenheit warten, sich zu rächen. Oder weil sie Angst haben. Inzwischen bin ich mir ziemlich sicher, dass sie es nicht wussten. Und dass Nashville es auch nicht weiß. Aber er fängt an, es zu ahnen.«
»Was? Was zu ahnen?«
»Er hat es selbst gesagt: Vielleicht ist die andere Person vorbeigegangen. Oder sie war nie da. Vielleicht ist er vor sich selbst geflohen.«
Svenja drehte sich auf den Bauch und legte die Hände über die Ohren. »Ich will das nicht hören«, flüsterte sie. »Ich will das überhaupt nicht hören.«
Sie spürte Gunnars Hände, die ihren Rücken streichelten.
»Wahrscheinlich ist ja alles ganz anders«, sagte er. »Nein,
bestimmt
. Er ist nur ein kleiner Junge.«
Aber Svenja wusste, dass das nicht stimmte.
Nashville war viel mehr als nur ein kleiner Junge.
»Was alle dir gesagt haben«, flüsterte Gunnar, »und was ich auch sagen werde, ist: Wir müssen Nashville zu jemandem bringen, der ihm helfen kann. Begreifst du das, Svenja?«
»Ja«, flüsterte sie und merkte, dass sie heulte. »Ja, ja.«
Er ließ sie heulen, er wartete geduldig neben ihr, bis sie
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