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Nashville oder Das Wolfsspiel (German Edition)

Nashville oder Das Wolfsspiel (German Edition)

Titel: Nashville oder Das Wolfsspiel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
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nach. Ich habe noch mal gesagt: ›Frag ihn nicht.‹ Und sie hat gesagt: ›Halt die Klappe, du weißt gar nichts.‹ Dann hat sie ihn gefragt, und er hat den Kopf geschüttelt und ist weitergegangen, schneller, man hat gesehen, wenn sie mehr fragt, wird er wütend, aber sie hat ihn am Ärmel festgehalten. Das war da, wo wir auch geschlafen haben, bei dem Holzstoß. Da musste er stehen bleiben, aber er wollte nicht, und ich habe mich geduckt, hinter das Holz. Er war nicht riesengroß, er war ganz normal. Und er hat sich komisch bewegt, so als wäre der Weg ein Seil, wo er drauf balancieren musste. Deshalb ist er gefallen, mit Sirja zusammen, weil er sowieso nicht so gut war mit dem Gleichgewicht. Erst hat er sie geschlagen, und dann sind sie gefallen, und da war das Messer, und da war Mondlicht. Ich habe alles gesehen, aber ihn nur von hinten, er hatte ein T-Shirt an, grau, glaube ich … Sein Rücken war über ihr, und das Messer war in seiner Hand, und sie hat geschrien.
    Und ich habe gedacht, dass die oben beim Grillen das hören müssen, aber sie haben es nicht gehört. Vielleicht haben sie zu laut gesungen. Ich dachte, der mit dem Messer, der hätte mich gesehen, und dann habe ich etwas gemacht, was falsch war.
Schrecklich falsch.
Ich bin nach unten gerannt und dann gefallen, den Abhang runter. Ich hätte nach oben rennen sollen, zu den Wiesen. Zu den Leuten am Grill.« Er machte eine Pause und atmete eine Weile schwer. Schließlich drehte er den Kopf zur Seite und sah Svenja an. »Aber … hätten sie uns geholfen?«, fragte er ganz leise. »Die am Grill, die so fröhlich waren? Wir sind ja nur Leute, die nicht da sein sollen.«
    »Natürlich«, flüsterte Svenja. »Natürlich hätten sie geholfen.«
    »Sie hätten Sirja vielleicht retten können. Vielleicht war sie noch nicht tot.«
    Sie wollte Ja sagen, aber dann begriff sie. Es war ungleich schlimmer, wenn sie nur deshalb gestorben war, weil niemand Hilfe geholt hatte. Sie schüttelte langsam den Kopf.
    »Dafür war es zu spät, Nashville«, sagte sie. »Ganz bestimmt. Und es ist gut, dass du gerannt bist, egal wohin. Er war kein Riese, aber er war viel größer als du. Sirja wäre stolz auf dich gewesen, weil du es geschafft hast, schnell genug zu verschwinden.«
    Nashville setzte sich im Bett auf und sah sie an, sein Gesicht tränenlos. »Meinst du?«, sagte er.
    Da nahm sie ihn in die Arme und wünschte, da wären Tränen, denn es war sicher schwieriger, ohne Tränen zu weinen. »Aber sein Gesicht«, flüsterte sie, »sein Gesicht hast du nicht gesehen?«
    »Nein«, flüsterte Nashville. »Wenn ich noch mal zurückgehe, in die Nacht …« Er machte sich von Svenja los, um sie anzusehen. »Wir machen das«, sagte er. »Das mit den Limetten. Morgen. Du musst alle Fenster und Türen schließen, damit ich nicht weglaufen kann. Kann sein, du musst mich festhalten. Und dann rieche ich an so einem Ding, bis ich noch etwas in der Erinnerung finde. Irgendwas, was hilft.«
    »Gut«, sagte Svenja. »Ich werde dich festhalten.«
    Er ließ sich zurück aufs Bett fallen und nahm ihre Hand in seine. So lag er da und sah sie mit seinen dunklen Augen an, die so wenig kindlich waren. Lange, lange. Schließlich sagte er, sehr leise: »Vielleicht ist der, der so komisch ging, der ohne Gleichgewicht … vielleicht ist er auch nur vorbeigegangen.«
    »Wie?«
    »Ich bin mir nicht mehr sicher. Es ist furchtbar, nicht sicher zu sein … Vielleicht hat er das Messer gar nicht gehabt. Vielleicht hat jemand anders mit Sirja gekämpft.«
    »Jemand anders? Wer denn?«, flüsterte Svenja.
    Nashville schwieg.
    »Ich habe Angst«, flüsterte er schließlich. »Wenn ich mich erinnere … Und wenn alles ganz anders war … Was dann? Wir hatten vorher schon Streit. Sirja und ich. An dem Tag. Sie hat immer so getan, als würde ich nichts begreifen. Und sie wollte, dass wir da draußen im Wald schlafen, obwohl es in der Stadt besser gewesen wäre. Alle schlafen in der Stadt … Warst du irgendwann mal sehr wütend?«
    »Sicher«, sagte Svenja. »Oft.«
    »So wütend, dass du jemandem wehtun wolltest?«
    »Ich … glaube schon.«
    Nashville drückte ihre Hand und schloss die Augen.
    »Ich wollte nicht, dass sie stirbt«, flüsterte er. »Glaubst du mir das? Ich war wütend auf sie, aber ich wollte nicht, dass sie stirbt.«
    »Sch, sch«, sagte Svenja. »Nein. Natürlich wolltest du das nicht. Man darf wütend auf Leute sein. Und du hättest ihr nicht helfen können. Es ist nicht

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