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Nashville oder Das Wolfsspiel (German Edition)

Nashville oder Das Wolfsspiel (German Edition)

Titel: Nashville oder Das Wolfsspiel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
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weggefahren.
    Ins Grüne.
    Ha.
    Svenja sah die weiß gerüschten Zwillinge über Wiesen voller Gänseblümchen tanzen, hörte ihr Lachen und sah Gunnar und Julietta Hand in Hand durch das halbhohe Gras wandeln. Aber Gunnar drehte sich zu ihr um, und in seinem Blick lag eine seltsame Art von Sehnsucht nach etwas anderem.
Komm
, wollte sie rufen,
du musst uns helfen&
#x 00 A 0 ;– da merkte sie, dass sie träumte, und ließ das Rufen, denn ein Traum-Gunnar nützte ihr nichts.
     
    »Svenja?«
    Sie träumte noch immer. Hörte die Frauenstimme vom Österberg, die
»Nein, nein, nein«
gesagt hatte.
    »Svenja?«
    Svenja blinzelte. Da war keine Frau. Da war ein Rinnsal von Morgenlicht, das durch die Fünfzigerjahre-Rollos tropfte. Bis unter den Tisch rann das Licht nicht. Dort saß jemand und hielt etwas Großes, Unförmiges in den Armen.
    Sie schüttelte sich, um wirklich wach zu werden. Katleens Umriss auf der Matratze lag noch in reglosem Schlaf, einen Arm zur Seite ausgestreckt, als tastete sie im Traum nach Svenja.
    Der da in der Morgendämmerung saß, war Nashville.
    Es war keine Frauenstimme gewesen, die Svenjas Namen gesagt hatte. Es war die Stimme eines kleinen Jungen. Das war es, was sie im Wald auf dem Österberg gehört hatte: die Stimme eines Jungen, der zu einer Toten sprach.
Nein. Geh nicht weg.
    Svenja starrte ihn an und lächelte plötzlich. Sie hatte sich seine Stimme immer viel tiefer vorgestellt, erwachsener, vielleicht wegen der Dinge, die er erlebt hatte. Aber natürlich war er noch nicht im Stimmbruch. Seine Stimme war ganz normal für einen Jungen von neun oder zehn Jahren. Sie war, zugleich, sehr neu. Für Svenja.
    »Ich habe Durst«, sagte die neue Stimme.
    »Ja. Warte«, flüsterte Svenja. Sie holte ein Glas Leitungswasser und sah zu, wie Nashville trank.
    »Ich … ich glaube, das Fieber ist runter«, sagte die neue Stimme leise. Dann griff Nashville in die Tasten des Akkordeons und spielte, kaum hörbar, eine winzige Melodie, die zum gekippten Küchenfenster flog und entwischte.
    »Du kannst Akkordeon spielen«, sagte Svenja.
    Nashville zuckte die Schultern. »Sie hat mich nie an das Ding rangelassen. Aber ich hab’s gelernt von ihr, immer nur so, mit den Augen.«
    Er spielte weiter, noch eine Melodie, die das Weite suchte, Melodien wie Seifenblasen.
    Aber etwas in Svenja zog sich bei jeder Seifenblasenmelodie schmerzhaft zusammen. Die Worte, die da plötzlich waren, waren zwischen ihnen: ihr und diesem seltsamen Jungen. Es war, als hätte man die ganze Zeit über im Dunkeln mit jemandem gesprochen, und auf einmal ging das Licht an. Sie wagte es jetzt nicht mehr, ihre Hand auf seine Stirn zu legen, um die Temperatur zu fühlen.
    »Eins wüsste ich gern«, flüsterte sie. »Wie heißt du?«
    »Nashville«, sagte Nashville.
    »Wie?«
    »Das hast du doch gesagt. Dass ich so heiße.«
    Er stellte das Akkordeon weg und ließ sich zur Seite sinken.
    »Kann ich noch ein bisschen schlafen?«, flüsterte er und rutschte näher, so nah, dass sein Gesicht ihr Hosenbein berührte. Er legte die Wange daran, lächelte zu ihr hinauf und schloss die Augen. Sein Lächeln war nicht kinderschön, nicht rührend. Es war ein Schmalmundlächeln in einem zu spitzen Gesicht unter einer verfilzten Zottelmähne. Die Vertrautheit schwappte zurück, um die Worte herum.
    »Ja, schlaf«, flüsterte sie. »Wir schlafen beide noch ein bisschen, bis es richtig Morgen ist.«
    Ein wenig hatte sie beim Wegnicken das Gefühl von Weihnachten. Man hat ein Geschenk bekommen und schläft in dem wunderbaren Wissen ein, dass man die ganzen Winterferien mit dem Geschenk spielen kann.
    Aber das Geschenk von Nashvilles Worten hatte einen bitteren Beigeschmack. Wer spricht, kann verraten. Wer verrät, muss beseitigt werden. Dringender noch als zuvor.

8 Böden
    Die Küche war weißhell und mittäglich, als Svenja das nächste Mal erwachte. Sie musste unendlich lange geschlafen haben.
    Sie setzte sich auf. Das Deckenlager neben ihr war leer. Am Kopfende des Tisches saß Katleen, in einem ihrer grauen T-Shirts, den Kopf in die Hände gestützt, und starrte ins Nichts. Sie wirkte vom Boden aus riesig wie eine heroische Statue.
    Svenja stand langsam auf; die Perspektive veränderte sich. Nun sah sie zu Katleen hinunter, und auf einmal wirkte Katleen … verloren. Sie starrte ins Nichts wie Nashville. Vor ihr, auf einem Schneidebrett, lagen die beiden Hälften einer Limette und ein breites Stahlmesser.
    »Guten Morgen«, sagte Svenja. »Ich

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