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Nashville oder Das Wolfsspiel (German Edition)

Nashville oder Das Wolfsspiel (German Edition)

Titel: Nashville oder Das Wolfsspiel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
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wie ein Zelt, das war unser Platz, gut bei Regen. Ich konnte nichts machen, der Degen war riesenlang, und der Typ, der war auch riesig, mindestens zwei Meter. Sie hat ihn angeschrien. Da war alles schon zu spät, sie hat da gelegen und geschrien, es war aber nur geflüstert. Ich erkenn dich schon wieder, hat sie geflüstert, die kriegen dich, und dann war wieder der Dolch da, und dann war sie still. Ganz still. Aber er hat mich gehört, er hat gesagt, er hat gehört, dass da noch einer ist. Und deshalb bin ich gerannt. Den ganzen Steilhang runter, gefallen und gerannt. Dann war ich in der Stadt. Der Riese mit dem Degen war nicht mehr da, ich bin gewandert, nur so, hin und her, und da war die Leiter an dem Haus, und ich bin rauf, und die Wohnung stand leer, und das ist alles.«
    Er sah sie an, außer Atem. Die Hälfte von ihm weiß, selbst das zerzauste schulterlange Haar. Die andere Hälfte dunkel.
    »Kannst du ihn beschreiben? Ihn malen?«
    Nashville schüttelte den Kopf. »Ich hab ihn nicht gesehen. Nicht richtig. Nur als Schatten im Wald. Es war so schwarz in der Nacht, alles war schwarz.«
    »Du würdest ihn nicht wiedererkennen?«
    »Nein. Aber ich finde raus, wer er ist. Und wo er ist. Es ist wie bei einem Spiel: Wenn er mich zuerst findet, habe ich verloren.«
    Svenja ging zu ihm, legte ihre Arme um ihn und wurde ebenfalls weiß.
    »Du redest überhaupt nicht wie neun«, sagte sie in sein angestrichenes Haar.
    »Ich bin dreizehn.«
    »Zehn vielleicht«, sagte sie und lächelte. »Allerhöchstens elf. Dreizehn stimmt nicht.«
    Und irgendetwas stimmte auch an der Österberg-Geschichte nicht, doch sie wusste nicht, was.
    Nashville schwieg den Rest des Tages, als wären bereits zu viele Worte aus ihm herausgeflossen. Sie las ihm ein ganzes Märchen aus dem Andersen-Buch vor, um Worte nachzufüllen.
Die Schneekönigin
. Er lag unter dem Bett und lauschte und umarmte das Akkordeon. Das alte Halstuch hatte er um einen der Griffe gewickelt, die Haarsträhne in den Stoff gebunden. Er hielt alles in den Armen, was er von Sirja, der Löwin, besaß.
     
    An diesem Abend ging Svenja noch einmal hinaus und schloss die Tür sorgfältig hinter sich ab. Es war wie vor zwei Wochen, sie musste sich bewegen, um Klarheit in ihre Gedanken zu bekommen.
    Sie merkte, wie ihre Füße ganz von selbst der sinnlosen Route folgten, die Nashville in so vielen Nächten gegangen war. Er war immer seinen eigenen Spuren gefolgt, sie verstand es jetzt, er war einfach den planlosen Weg rückwärtsgegangen, den er in der Nacht seiner Flucht gekommen war. Vielleicht hatte es mit seiner Besessenheit zu tun, alles umzukehren. Sich selbst, Bücher, die Welt, das Spiegelbild im Bad.
    Sie verstand seine Hoffnung: eine verzweifelte Hoffnung, die unverständlichen Dinge auf der Welt zu verstehen, wenn man die Welt umkehrte. Vielleicht musste sie die Straßen der Stadt auf dem Kopf entlanggehen, um zu begreifen.
    Warum hatte jemand Sirja umgebracht? Wer war sie gewesen? Warum war sie nie an einem Ort geblieben? War auch Sirja vor etwas geflohen? Woher oder von wem hatte sie ein Kind gehabt? Und war sie wirklich seine Mutter gewesen?
    Es gab tausend Möglichkeiten.
    Die einfachste Lösung war eine Messerstecherei zwischen Kollegen. Sirja, die Löwin, die Cholerikerin – sie hatte jemandem in der Stadt den Platz streitig gemacht, sie hatten sich gegenseitig bestohlen, irgendetwas in der Art. Aber war das nicht zu einfach? Wer auf der Straße lebt, ist selbstverständlich unzurechnungsfähig, betrunken, gewalttätig, kriminell.
    Haha.
    Die komplizierteste Möglichkeit war, dass weder Sirja noch Nashville die gewesen waren, als die sie sich ausgegeben hatten. Was, wenn die Maske der Obdachlosigkeit nur ein Versteck gewesen war. Aber ein Versteck wovor? Und wer war Nashville dann in Wahrheit?
    An diesem Punkt in ihren Gedanken merkte Svenja, dass sie nicht alleine war in den nächtlichen Straßen. Da war noch jemand.
    Da waren selbstverständlich eine Menge Nochjemande, für eine Kneipentour war es früh. Aber die anderen Nochjemande hatten eigene Ziele. Einen gab es, der ihr folgte. Sie spürte seine Anwesenheit. Wenn sie stehen blieb, blieb auch er stehen. Aber wenn sie sich umdrehte, war da nichts. Einmal sah sie einen Schatten in einem Kneipeneingang verschwinden, sehr rasch. Sie ging nicht zurück, sie hätte den Schatten in der Kneipe doch nicht wiedergefunden.
    Ein Schatten, dachte sie, während sie weiterging, ein Schatten … Und auf einmal wusste

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