Nashville oder Das Wolfsspiel (German Edition)
trennt sich voneinander, und man trennt sich von seinem Kind, wenn es weggeht … Es ist alles ein einziges großes Trennen.«
»Eier«, sagte Katleen sachlich. »Dazu fallen mir nur Eier ein. Das Trennen von Eiern. Verzeih die Frage, aber – bist du nüchtern?«
»Leider«, antwortete Svenja. »Und ich habe Angst. Angst, dass dieser Typ ihn findet. Der seine Mutter abgestochen hat.«
»Ja«, sagte Katleen in die Dunkelheit. »Ja, er wird ihn wohl finden.« Sie seufzte. »Früher oder später finden Raubtiere immer ihre Beute.«
Svenja setzte sich auf. »Das ist nicht lustig. Das ist …«
Sie fühlte, wie Katleen ihre Hand nahm und sie wieder herunterzog.
»Nein«, flüsterte sie ernst. »Lustig ist es nicht.«
Dann hielt sie Svenjas Hand fest, aber auf eine gute Art. Auf die Art, auf die man jemanden festhält, um ihn notfalls aus einem Meer von Albträumen zu ziehen. So schliefen sie ein.
Nashville wachte auf wie jede Nacht, und Svenja riss sich mit Gewalt aus dem Tiefschlaf, um sich neben ihn zu knien und ihn zu halten, anders als Katleen ihre Hand, viel näher noch.
Und er schlief.
Und er wachte auf, und er schlief, und er wachte auf.
Es wurde Morgen, es wurde Tag, und Svenja und Nashville blieben in Katleens Küche. Es gab keinen Weg zurück in die Wohnung mit den rot und schwarz beschriebenen Wänden.
»Ist okay«, sagte Katleen. »Bleibt ruhig. Solange ich um euch herum kochen darf.«
Und sie kochte. Sie kochte Eintopf, und Nashville schlief, und sie kochte Suppe, und Nashville wachte auf, und sie machte Mousse au Chocolat, und Svenja schlief mit Nashville in den Armen ein. Sie verließ die Wohnung nur ein einziges Mal, um mit dem Rad auf den Schnarrenberg zu fahren. Sie blieb nicht lange weg.
Drei Tage lang schliefen und wachten sie zusammen unter dem Küchentisch.
Das Fieber zog sich zurück wie Wellen am Strand, wenn das Paracetamol wirkte, nur um gleich darauf wieder aufzubranden. Svenja fand die Feuchtigkeit der weißen Gischt in Nashvilles verschwitztem Haar. Sie versuchten, ihm Suppe einzuflößen, doch er trank nur das Wasser, das sie ihm gaben.
Friedel tauchte auf und saß mit Svenja neben Nashvilles Deckenlager. Sie erzählte ihm die Geschichte von Sirja, der Löwin, und ihrem Jungen. Er schluckte und schüttelte den Kopf. Er küsste Svenja im Hausflur. Und kam wieder und brachte mehr Tabletten mit und das Akkordeon aus Svenjas Wohnung, das sie neben Nashville unter den Tisch bettete. Es war immerhin möglich, dass es half.
Es half nichts.
»Holt einen Arzt«, sagte Katleen.
»Ein Arzt wird ihn mitnehmen«, sagte Svenja. Friedel nickte.
»Wollt ihr ihn hier sterben lassen?«, fragte Katleen.
»Nein«, sagte Svenja. »Ich – ich habe nur das Gefühl, dass er es auch nicht überleben würde, in ein Krankenhaus gesperrt zu werden.«
Katleen zuckte die Schultern.
Und Friedel ging in Termi für sie beide unterschreiben, und Svenja trug Nashville in die Dusche und stellte sie kalt und sagte ihm, dass es ihr leidtäte, und nach dem Duschen ging das Fieber für kurze Zeit herunter.
Sie dachte natürlich. Sie dachte die ganze Zeit über Mütter und Kinder nach.
Ihre eigene Mutter hatte Svenjas Mailbox zweimal gefragt, ob sie nicht doch irgendwann zu Besuch kommen dürfe. Svenja rief nicht zurück. Sie wusste, wenn sie zurückriefe, würde sie ihrer Mutter alles erzählen und zusammenklappen und heulen.
Wenn er stirbt. Wenn das Fieber so hoch wird, dass er stirbt. Wenn kein Mörder ihn mehr zu finden braucht. Was dann?
In der vierten Nacht saß Svenja neben Nashville, während er schlief, sie war einfach zu müde, um aufzustehen und die zwei Schritte bis zu der Matratze zu gehen, die Katleen so klaglos mit ihr teilte. Sie hasste das Fieber, das so unerklärlich aus dem Nichts gekommen war, sie hasste es in dieser Nacht so sehr, dass es schmerzte.
Einen
Arzt hätte sie gerne angerufen. Dieser Arzt hätte Nashville vielleicht nicht verraten, ihn nicht irgendwohin gebracht, wo man ihn behielt. Aber sie hatte seine Nummer nicht.
Das einzige Mal, als sie Nashville verlassen hatte, hatte sie das gelbe Fahrrad nicht auf den Schnarrenberg hochgezwungen, um die Anatomie zu betreten. Sie hatte in der HNO nach Gunnar gesucht. Er hätte frei, sagte man ihr. Nein, sie dürften ihr seine Handynummer nicht geben und ihr auch nicht sagen, wo er wohnte. Sie versuchte es in dem Café unter der Kastanie. Doch auch dort saß kein Gunnar Holzen. Vielleicht war er mit Julietta für ein paar Tage
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