Nashville oder Das Wolfsspiel (German Edition)
habe ziemlich lange geschlafen, was? Vorhin, als es noch nicht ganz hell war, da war ich schon mal wach. Er hat gesprochen, Katleen. Das Fieber ist runter, und er hat gesprochen.«
Erst jetzt fiel ihr auf, dass Nashville nicht da war. Er musste im Bad sein, natürlich, das war die Lösung.
»So, gesprochen«, sagte Katleen langsam. »Mit mir nicht. Einen Pfannkuchen hat er gegessen, immerhin. Und dann habe ich die Limette aufgeschnitten. Zuckerguss, ich brauche Zuckerguss für die Muffinglasur, heute Abend ist eine Party, zu der ich Muffins mitbringen wollte …«
»Und?« Irgendetwas stimmte nicht.
»Und er ist aufgesprungen und hat mich angesehen, mit diesen Augen … völlig panisch. Dann ist er aus dem Fenster geklettert und hinuntergesprungen und gerannt.« Sie zuckte die Achseln, und das T-Shirt rutschte wieder und entblößte ein Stück muskulöse, sehnige Schulter. »Keine Ahnung, wohin. Weg, das war die Hauptsache. Als hätte ich ihm was getan.« Sie schüttelte den Kopf.
Svenja ballte die Fäuste. Er war noch nicht völlig auf Deck, er hatte tagelang nichts gegessen, er war schwach auf den Beinen, ihm konnte da draußen alles Mögliche passieren …
»Das Messer«, sagte sie. »Katleen. Du hättest das Messer nicht benutzen dürfen. Er kriegt Panik, wenn er Messer sieht. Scheiße!« Sie ging zum Fenster, beugte sich hinaus und wusste, dass es unsinnig war. Sie würde Nashville erst finden, wenn er sich finden lassen wollte.
»Und woher soll ich wissen, dass er Panik vor Messern hat?«, fragte Katleen, ihre Stimme so scharf wie die Klinge vor ihr. »Ich habe die ganze verdammte Woche meine Messer benutzt, und er hat nicht reagiert!«
»Er hat gefiebert, Katleen! Er hat nichts mitbekommen!« Svenja schüttelte ungeduldig den Kopf. »Hättest du dir das nicht denken können? Ein Kind, das gesehen hat, wie jemand seine Mutter mit einem Messer absticht! Vor so einem Kind fuchtelt man doch nicht mit einem Messer herum!«
»Na, danke«, sagte Katleen und stand auf. »Da füttert man euch eine Woche lang durch, lässt euch bei sich pennen, und dann ist man die Böse, weil man es wagt, seine eigenen Küchenmesser in seiner eigenen Küche zu benutzen.«
Sie fuhr sich mit der linken Hand durchs schwarze Stoppelhaar, wie sie es so oft tat, und da sah Svenja, dass ihre Hand blutig war. Sie streckte blitzschnell den Arm aus, griff nach Katleens Hand und zog sie zu sich heran. Ein tiefer Schnitt lief über die Handfläche, die Wunde schien durch Svenjas Griff wieder aufgegangen zu sein, und es sickerte mit beunruhigender Geschwindigkeit helles Blut daraus hervor.
»Was …?«, begann Svenja.
Katleen zog die Hand zurück und presste sie gegen ihre Hüfte, um die Blutung zu stoppen.
»Ich habe mich geschnitten. Vor Schreck. Als er aufgesprungen und rausgeklettert ist … Vergiss es. Es ist nur ein Kratzer.«
Svenja sah Katleen an, in deren Augen eine seltsame Mischung aus Wut und Traurigkeit funkelte. Sie fragte sich, ob sie ihr glauben sollte. Schließlich nahm sie Katleens Hand abermals, ganz vorsichtig, und führte sie nach oben.
»Über Herzhöhe«, sagte sie leise. »Du musst sie über Herzhöhe halte. Dann hört es auf zu bluten.«
Einen Moment lang hielt sie Katleens Hand noch fest, dort oben. Sie waren sich ganz nahe. Es war ein seltsamer Moment.
»Ich glaube, es ist besser, wenn wir wieder in unsere eigene Wohnung zurückziehen«, sagte Svenja schließlich. »Wir sollten dich nicht länger stören. Ich meine, wir ziehen zurück, sobald ich Nashville gefunden habe. Es war unendlich nett von dir, dass wir hier sein durften. Aber es wird Zeit. Ich werde die Wände überstreichen.«
Sie ließ Katleens Hand los, und Katleen nahm die Hand herunter, woraufhin ihr Blut auf den Boden tropfte. »Ja«, sagte sie. »Geh, Svenja. Geh und streich deine Wände.«
Sie stand in der Tür, als Svenja ging.
»Wir sehen uns«, sagte Svenja, um das Akkordeon herum, das sie trug. »Irgendwann revanchiere ich mich.«
»Falls ich mal ein Kind finde, das psychisch nicht normal ist und fiebert?«
Svenja nickte. Dann ging sie über den Jakobusplatz.
Die Tür zu ihrer Wohnung war verschlossen, aber ein Fenster stand offen. Nashville saß auf dem Küchenschrank.
»Hör mal«, sagte Svenja. »Wir müssen die Wände streichen. Sonst macht der Vermieter irgendwann Ärger. Ist Weiß okay?«
»Okay«, sagte Nashville.
Es war nicht so, dass Nashville plötzlich die ganze Zeit sprach. Er schwieg viel. Seine Worte
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