Nashville oder Das Wolfsspiel (German Edition)
atmete gegen das Fieber an.
NASHVILLE SIRJA SIRJA SIRJA
, sagten die Wände. Die schwarzen Buchstaben schienen Svenja zu umkreisen, schienen zu lauern …
»Ich muss hier raus«, flüsterte sie. »Ich kann hier nicht bleiben, ganz alleine mit dir.«
Sie legte ihn sich über die Schulter und schleppte ihn die Treppe hinunter. Das Mondlicht auf dem Jakobusplatz war beinahe hell gegen die dunkle Wohnung. Der Schatten, der sie und Nashville vereinte, ging voraus in die Madergasse.
Katleen drückte sofort auf den Summer, als Svenja klingelte. Entweder schlief sie neben der Gegensprechanlage, oder sie hatte gar nicht geschlafen. Eine weitere Treppe … und dann stand Svenja in ihrer Wohnung.
»Das Fieber geht nicht runter«, sagte sie. »Und sobald ich weggucke, ist er wieder unter dem Bett. Da kann ich ihn nicht lassen, da unten im Dunkeln. Ich muss ihn irgendwie im Auge behalten, aber ich bin so müde … Katleen … können wir hierbleiben? Nur für diese eine Nacht?«
»Be my guest«, sagte Katleen und zuckte die Schultern. »Ich schlafe auf der Matratze da, an der Wand. Tags steht die hochkant … Nashville kann unter den Küchentisch ziehen. Ich hätte ein paar Decken.«
Svenja nickte.
Als sie Nashville auf das provisorische Deckenlager betteten, zitterte er noch immer. Katleen fand im Bad ein Fieberthermometer.
41 , 5 °C
.
»Gott«, sagte Svenja.
»Nein«, sagte Katleen. »Paracetamol. Bist
du
nicht die Medizinstudentin hier?« Sie drückte eine weiße Tablette auf ein Brotbrett.
»Aber die sind für Erwachsene«, murmelte Svenja.
»Eben«, sagte Katleen. »Das ist für ihn die doppelte Dosis, und die braucht er.«
Sie nahm ein Messer von der Magnetleiste an der Wand, an der die scharfen Schneiden in einer blanken Reihe glänzten, und zerteilte die Tablette. Dann füllte sie ein Glas mit Leitungswasser.
»Auf ins Abenteuer«, sagte sie. »Mein kleiner Bruder hat sich immer geweigert, irgendwas zu schlucken. Kinder tun das. Du weckst ihn. Und dann hältst du ihn fest.«
»Aber …«
»Nichts aber!«
Svenja fasste den zitternden kleinen Körper unter den Achseln und zog ihn hoch.
»Bitte!«, flüsterte sie. »Nashville, du musst aufwachen und diese Tablette schlucken.«
Nashville wachte nicht auf. Da kniff Katleen ihn in den Arm, so rasch und so fest, dass Svenja schrie. Nashville schlug die Augen auf. Er sah sich um und fand Svenjas Gesicht, was ihn zu beruhigen schien. Er war nicht wirklich wach.
»Mund auf«, befahl Katleen und drückte mit Daumen und Zeigefinger in seine Wangen, als müsste sie einem Hund die Kiefer auseinanderzwingen. Sie legte die halbe Tablette in Nashvilles Mund, setzte das Glas Wasser an seine Lippen. »Trinken!« Die zweite halbe Tablette folgte. Und Nashville schloss die Augen wieder und fiel zurück in seinen Fieberschlaf.
Zehn Minuten später hörte er auf zu zittern.
Katleen stellte eine Kerze auf den Tisch, ging zum Lichtschalter und knipste die Dunkelheit an. Dann setzten sie sich zu zweit auf die Matratze, die Rücken gegen die Wand gelehnt. Weit entfernt fuhren Autos vorüber.
Katleen trug auch nachts eines der grauen T-Shirts; das und eine Unterhose. Ihre Beine waren lang und sehr schlank. Svenja fragte sich, ob Katleen schön war. Vielleicht. Sie gab sich große Mühe, es zu verbergen.
»Hast du die Haare schon immer ab?« Es war eine so beruhigend belanglose Frage.
»Nein«, sagte Katleen. »Früher waren sie mal lang. Lange, glänzend schwarze Locken. Ich habe sie abgeschnitten, als ich zu Hause ausgezogen bin.«
Svenja nickte. »Irgendwie dachte ich mir das.«
Eine Weile schwiegen sie. Die Kerze flackerte. Nashville zuckte im Traum mit den Beinen wie ein Hund. Draußen träumte die Stadt, träumten Hunderte von Studenten, träumten Neugeborene und Altgewordene, träumten Menschen, die auf Pappe schliefen.
Die Kerze erlosch.
»Woher kommst du?«, fragte Svenja.
»Marktoberdorf«, sagte Katleen. »Bayern.«
»Erstaunlich«, sagte Svenja.
Sie hörte, wie Katleen sich seitwärts auf die Matratze fallen ließ. Sie ließ sich neben sie fallen.
»Liegen ist wunderbar …«
»Ja«, sagte Katleen. »Sitzen wird überbewertet.«
»Katleen?«, fragte Svenja nach einer Weile. »Willst du mal Kinder?«
Katleen seufzte. »Kinder kriegen wird auch überbewertet.«
»Ich dachte immer, ich würde mal welche wollen. Aber jetzt … jetzt habe ich eins, und es ist alles … nicht so einfach. Irgendwann trennt man sich sowieso, auch als Eltern, man
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