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Nashville oder Das Wolfsspiel (German Edition)

Nashville oder Das Wolfsspiel (German Edition)

Titel: Nashville oder Das Wolfsspiel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
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vorbereitet sind, gehen Sie und kommen Sie ein andermal wieder.«
    »Ich
bin
vorbereitet«, sagte Svenja gequält. »Aber ich muss wissen, wer sie ist. Woran ist sie gestorben? An einem Schnitt quer durch den Hals? Mit einem Degen? Ist sie hier, weil sie irgendwann etwas unterschrieben hat – dass sie ihren Körper spendet, weil man so an eine billige Beerdigung kommt? Auch wenn man vorher zwischen den Zeilen gelebt hat?«
    Sie spürte einen Arm, der sich unter ihren schob. »Komm, Svenja«, sagte Nils und, etwas lauter: »Ich glaube, Frau Wiedekind geht es nicht gut. Ich werde sie hinausbegleiten.«
    »Nein!«, rief Svenja und riss sich los. »Ich kann die verdammten Nerven am Bein! Ich kann sie alle! Aber wen kümmert es denn, wie sie heißen? Wenn das Blut aus einem Körper fließt, dann ändert es doch nichts mehr, die Arterien zu benennen! Und bei den Pennern sind es sowieso immer die Karotiden, aus denen das Blut fließt. Aber die kommen ja erst im Kopf-Hals-Testat dran …«
    Sie war mit zwei Schritten beim Kopfende des Metalltisches mit seinen Ablaufrinnen, nahm den Lappen vom Gesicht der Leiche und legte ihn auf den Brustkorb. Sie erinnerte sich noch an das Geräusch der Schere, als Nils das Brustbein aufgeschnitten hatte.
    Das Gesicht der Leiche war verunstaltet, das Formalin war tief ins Gewebe gedrungen und hatte es in seltsamer Verformung erstarren lassen, die Nase wirkte platt, die geschlossenen Augen tief eingefallen, die Haare bleich und strohig. Nein, dieses Gesicht war ein unbekanntes. Natürlich.
    Diese Frau war lange tot gewesen, bevor Svenja nach Tübingen gekommen war. Und dem Gesicht war nicht anzusehen, ob sie reich oder arm gewesen war, auf der Straße gelebt hatte oder in einer Villa am Neckarufer. Die Karotiden, die Halsschlagadern, waren bereits freipräpariert und unversehrt. Nils nahm ihren Arm wieder und zog sie mit sich hinaus. Sie sah Katharinas entsetztes, verwirrtes Gesicht, als sie an ihr vorbei zur Tür eskortiert wurde.
     
    Im Vorraum setzte Nils sie auf einen Stuhl und reichte ihr eine Flasche Wasser. Svenja trank und merkte, wie der Traum langsam von ihr abfiel. Dann krümmte sie sich auf dem Stuhl zusammen wie ein Embryo und heulte. Sie ließ die Tränen einfach über ihr Gesicht laufen wie Regen. Sie hatte alles vermasselt. Mal wieder. Sie hatte sich benommen wie eine Idiotin. Natürlich hatten die Leichen nichts mit Sirja oder dem Zugfütterer zu tun.
    »Sch, sch«, flüsterte Nils und legte eine warme, lebendige, beruhigende Hand auf ihre Schulter. »Das passiert schon mal. Nervenzusammenbruch. Klassisch. Beim nächsten Mal klappt es. Die Nachprüfung ist in zwei Wochen.«
    Svenja sah ihn durch einen Tränenschleier hindurch an, streckte dann den Arm aus und fuhr mit einem Finger über seinen Schmiss.
    »Das Messer war scharf«, sagte sie.
    Nils lachte. »Es war nicht gerade ein Küchenmesser.«
    »Jetzt bist du also kein Fuchs mehr? Sondern ein richtiges Mitglied in deiner Verbindung?«
    Er sah sie prüfend an. »Ja. Aber ich dachte nicht, dass du dich dafür interessierst … Das ist der Schmiss von meinem ersten richtigen Fechtkampf.« Sie hörte den Stolz in seiner Stimme. Ein kleiner Junge, der von seinem neuen Spielzeug erzählt. Fußballbildchen, Transformer, Carrerabahn, Degenfechten.
    »Nimmt man die Waffe eigentlich mit nach Hause?«, fragte Svenja.
    »Ich muss wieder rein«, sagte Nils. »Zu Katharinas Prüfung. Der Tutor muss anwesend sein. Bis später.«
     
    Svenja stand langsam auf, ging hinaus und setzte sich ins Gras. Vor der HNO war kein junger Arzt zu sehen. Sie fand ein beinahe leeres Päckchen Zigaretten in ihrer Tasche, dessen Rest Nashville vermutlich an zu junge Schüler aus gutem Hause vertickt hatte.
    Nach der dritten oder vierten Zigarette setzte sich jemand neben sie.
    »Mist«, sagte er.
    »Bitte?«
    »Mist. Das Leben ist großer Mist.«
    Sie sah ihn von der Seite an. Friedel.
    »Das unterschreibe ich so«, sagte sie. »Ich muss aus meiner Wohnung raus. Sie wird restauriert. Und hinterher teurer …« Sie schüttelte sich. »Friedel? Bin ich betrunken? Dieses Gespräch gab es schon einmal.«
    »Déjà-vu«, meinte Friedel. »Ähnlich beunruhigend wie eine totale Amnesie. Besonders ärgerlich in der Kombi. Nach dem Motto: Das hab ich doch schon mal vergessen!« Er seufzte. »Ich hab’s nicht geschafft. Du?«
    Svenja schüttelte den Kopf. »Auch nicht. Nils sagt, ich hätte einen Nervenzusammenbruch bekommen und das wäre

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