Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nasses Grab

Nasses Grab

Titel: Nasses Grab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helena Reich
Vom Netzwerk:
der Post. So viel Besuch hatte der Hora seit Jahren nicht mehr.« Sie schüttelte den Kopf und schloss die Tür.
    Offenbar verbrachte die alte Frau ihren Tag hinter der Wohnungstür am Spion. Larissa war sich sicher, dass sie sie weiter beobachtete. Egal. Sie klopfte. Die Tür bewegte sich. Komisch, dachte Larissa, die Tür ist offen. Vielleicht ist er nur kurz hinuntergegangen, in die Bäckerei unten im Haus oder so. Aber die alte Frau schien sich sicher zu sein, dass Hora die Wohnung nicht verlassen hatte. Vielleicht hatte der letzte Besucher nur vergessen, die Tür ordentlich zuzumachen. Entschlossen öffnete sie.
    Der Wohnungsflur war hoch, aber kurz. Weiße Wände, alte Dielen, auf denen ein ausgefranster Perserteppich als Läufer diente. Ein Tischchen an einer Wand, auf dem ein uraltes Telefon stand. Das Kabel lag ordentlich aufgewickelt daneben. Kein Anschluss unter dieser Nummer, dachte sie amüsiert. In der Wohnung rührte sich nichts.
    »Herr Hora«, rief Larissa, »Herr Hora, sind Sie da? Wir hatten eine Verabredung – ich bin Larissa Khek von der Post .«
    Nichts. Sie sollte auf dem Absatz kehrtmachen und gehen. Ein anderes Mal wiederkommen. Larissa holte ihr Mobiltelefon aus ihrer Handtasche und wählte Horas Handynummer. Einen Moment später klingelte irgendwo hinten in der Wohnung sein Apparat. Es klingelte immer weiter, bis schließlich die Mailbox ansprang. Sie unterbrach die Ansage und steckte ihr Handy wieder ein. Seltsam. Sie sollte schleunigst verschwinden. Aber vielleicht ging es ihm nicht gut – immerhin musste der Mann um die sechzig sein. Vielleicht war ihm schlecht geworden. Oder er war einfach nur fest eingeschlafen. Sie ging entschlossen hinein. Vorbei an einer offenen Badezimmertür, vorbei an einer recht geräumigen und penibel aufgeräumten Küche auf die geschlossene Tür zu, hinter der sie das Handy hatte klingeln hören. Gegenüber der geschlossenen Tür, auf der anderen Seite des Flurs, konnte sie in das Schlafzimmer hineinsehen. Ein Doppelbett, ein Nachttisch, weiße Wände, Dielenboden. Keine Bilder. Eine Hose und ein Jackett waren achtlos auf das Fußende des Betts geworfen worden. Hora lag nicht im Bett. Noch immer rührte sich nichts in der Wohnung. Langsam kam ihr die Sache unheimlich vor.
    Sie presste ein Ohr an die geschlossene weiße Holztür und lauschte. Das musste das Wohnzimmer sein. Kein Mucks. Sie klopfte. Nichts. Larissa drückte entschlossen die Klinke hinunter.
    »Entschuldigen Sie, Herr Hora, dass ich hier so einfach eindringe«, sagte sie, während sie die Tür schwungvoll öffnete, »die Tür war offen, und wir waren … verabredet«, vollendete sie lahm den energisch begonnenen Satz. Sie blieb wie versteinert im Türrahmen stehen. Auf dem Boden vor einem abgewetzten Ohrensessel, der mitten im sonst fast leeren Raum stand, lag ein glatzköpfiger älterer Mann auf dem Rücken vor dem Sessel, die Arme weit von sich gestreckt, ein Bein leicht angewinkelt, in der Mitte seiner hohen Stirn ein kleines rotes Loch. Der dunkelrote Fleck, der unter seinem Kopf auf dem Dielenfußboden hervorzuwachsen schien, umgab diesen wie ein makaberer Heiligenschein.
     
    »Na schön, noch mal von vorn, Frau Redakteurin.« Der junge Polizist stand mit gezücktem Notizblock vor ihr und sah sie zweifelnd an. Sein Ton sagte überdeutlich, dass er kein Wort von dem glaubte, was sie ihm eben zum dritten Mal erzählt hatte. Herablassender kleiner Grünschnabel, dachte sie. Sein Kollege, ein ebenso junger Mann, stand an der Wohnungstür. Er hatte bisher kein Wort gesagt.
    »Ich habe Ihnen doch schon alles erzählt«, sagte Larissa unwirsch. »Und nicht nur einmal!« Ihr war übel, und ihre Knie zitterten. Sie wollte weg aus dieser Wohnung. Raus in die Sonne, an irgendeinen Ort, an dem sie vergessen konnte, was sie gesehen hatte.
    »Lassen Sie mal, Horký. Ich übernehme das.«
    Der junge Polizist drehte sich erschrocken um. »Oh, natürlich, Herr Kommissar. Zu Befehl, Herr Kommissar!« Er schlug Hacken und Notizblock zusammen und entfernte sich schneller, als sie ihm das zugetraut hatte. Vor ihr stand David Anděl und lächelte sie an.
    »Sie haben also mal wieder eine Leiche aufgestöbert, Frau Redakteurin. Sie sollten das nicht zur Gewohnheit werden lassen.«
    »Gott sei Dank! Ich hätte Ihrem Adlatus da gleich den Hals umgedreht. Er scheint zu glauben, ich hätte …« Sie schwankte und stützte sich an der Wand ab. »Könnten wir nicht … ich meine, müssen wir hierbleiben? Mir ist

Weitere Kostenlose Bücher