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Nasses Grab

Nasses Grab

Titel: Nasses Grab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helena Reich
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lassen. Sie schrieb eine Notiz an ihren Chef, dass sie wegen einer Korruptionsgeschichte für ein paar Tage nach Böhmisch Krummlau fahren würde. Das hatte sie ohnehin vorgehabt.
    Sie atmete auf. Der Nachmittag war zwar nicht ganz nach ihren Vorstellungen verlaufen, aber letztendlich hatte sich alles in Wohlgefallen aufgelöst. Ja, trotz aller Widrigkeiten hatte sie doch im entscheidenden Moment immer Glück gehabt. Wenigstens darauf konnte sie sich verlassen.
    Sie nahm ihre Handtasche und verließ ihr Büro. Sie war entsetzlich müde. Draußen war es inzwischen ziemlich dunkel. Sie warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. Sie seufzte. Alena ging ungern abends allein von ihrem Büro zur Metro. Zwar lag ihre Arbeitsstätte gleich neben dem Nationalmuseum am oberen Ende des Wenzelsplatzes, also mitten im Zentrum von Prag, aber nachts schien die direkt am Gebäude vorbeiführende Magistrale, die die Stadt von Nord nach Süd durchschnitt, das Rundfunkgebäude und die links daneben liegende Staatsoper noch näher an den verwahrlosten Wilson-Bahnhof zu drücken. Zwar lebte sie erst seit ein paar Monaten in der »Mutter der Städte«, wie Prag gern genannt wurde, doch diese Ecke der Stadt fand sie kein bisschen angenehmer als jedes andere x-beliebige Bahnhofsviertel. Es wirkte bei Dunkelheit trotz der Lichter der pulsierenden Hauptverkehrsader dunkler als die engen Gassen der Altstadt, und trotz der Staatsoper und des nahe gelegenen Bahnhofs schien nur selten jemand abends dort unterwegs zu sein. Meist versuchte sie, wenn sie spät Feierabend machte, so lange zu bleiben, bis die Vorstellung nebenan zu Ende war und sich ein Strom von Menschen in Abendgarderobe aus der Staatsoper in die Metro ergoss. Es gab ihr ein Gefühl der Sicherheit, sich zwischen die Männer mit den dunklen Anzügen und Frauen mit langen Abendkleidern zu mischen. Meist fiel sie unter ihnen auch nicht weiter auf, da sie elegante Kleidung bevorzugte.
    Doch jetzt, mitten in den Theaterferien, musste sie auf das Bad in der Menge verzichten. Sie sah noch einmal auf ihre Armbanduhr, als sie am Portier vorbeiging. Kein Mensch würde ihr auf der Straße begegnen, außer vielleicht ein paar versprengte Touristen auf der Suche nach einer Bar. Oder betrunkene Engländer, die ihren Trip nach Prag bis zum letzten Tropfen auszukosten gedachten. Doch heute störte sie die Einsamkeit der Gegend nicht. Im Gegenteil. Alena ging durch die große Halle zur verglasten Eingangstür und steuerte draußen den Eingang zur Metro an. Kurz davor blieb sie einen Moment stehen und horchte. Außer den vorbeirauschenden Autos war nichts zu hören. Sie atmete tief durch. Auf zum letzten Rendezvous. Sie dachte an Honza. Wie lange er wohl auf sie warten würde auf der schönen Terrasse? Sie lachte laut auf. Alles war bestens. Ihre beiden Rendezvous waren zu ihrer vollen Zufriedenheit verlaufen. Honza war sogar vernünftiger gewesen, als sie erwartet hatte. Er hatte sich nicht geändert, der Dreckskerl, immer noch ausschließlich auf sein eigenes Wohl bedacht. Und der andere – nun, Schwamm drüber. Sie lächelte. Sie musste sich keine Sorgen mehr machen. Nur noch diese kleine Angelegenheit galt es zu erledigen. Und danach – ein Abstecher nach Krummau. Alles andere würde sich mit der Zeit ergeben.
    Alena ging, so schnell es ihre hochhackigen Sandalen erlaubten, auf die Metrotreppe zu. Sie lief die Stufen hinunter. Auf dem Absatz in der Hälfte der Treppe rutschte sie auf einer Handvoll verstreuter Kieselsteine aus, verlor das Gleichgewicht und schlitterte auf die steile Treppe zu. Mit knapper Not schaffte sie es, sich aufrecht zu halten. Mit ihrer linken Hand versuchte sie, das Geländer zu fassen, mit der rechten hielt sie krampfhaft die Handtasche fest. Im letzten Moment packte jemand sie am Oberarm und riss sie mit Gewalt zurück. Sie schrie erschrocken und gleichzeitig erleichtert auf, als sie gegen die Brust desjenigen prallte, der sie eben vor einem bösen Sturz bewahrt hatte.
    »Nicht so eilig, Herzchen. Mit solchen Schuhen bricht man sich hier leicht den Hals, wenn man nicht aufpasst«, zischte ihr Retter in ihr Ohr.
    Und noch bevor sie überhaupt wusste, wie ihr geschah, stieß die Hand, die sie soeben vor dem Sturz bewahrt hatte, sie mit großer Kraft in die Tiefe. Wie von Ferne hörte sie noch ein leises Zischen und spürte einen heftigen brennenden Schmerz in ihrem Brustkorb, der sich in alle Richtungen gleichzeitig auszudehnen schien. Doch bevor er sich in ihrem ganzen

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