Nasses Grab
Richtung, »Sie rühren sich nicht von der Stelle! Meda, du lässt unsere lebensmüde Reporterin nicht aus den Augen. Und häng dich ans Telefon und suche die Karafiátová. Sie soll herkommen.« Er stand auf und eilte zur Tür.
»Zu Befehl, Chef«, sagte Meda.
»Wohin gehen Sie, David?«, fragte Otčenášek.
»Ich will endlich wissen, wen die Kousalová gesehen hat. Drei Leichen sind genug.«
Er ließ die Tür mit Wucht hinter sich zufallen.
Markéta Kousalová sah Anděl mit verweinten Augen an. Sie lehnte am Rahmen ihrer Wohnungstür, die Hände in den Hosentaschen, wie ein trotziges Kind.
»Was wollen Sie denn noch von mir? Ich habe Ihnen doch schon alles gesagt.« Ihre Stimme klang müde. Sie trug ein grellgelbes T-Shirt und eine verwaschene Jeans, die ein Loch am linken Knie hatte. Sie sah darin trotz ihrer mehr als vierzig Jahre aus wie ein Teenager. Dazu trug nicht unwesentlich ihre Frisur bei: Sie hatte die Haare an den Seiten ihres Kopfes zu Zöpfen geflochten, traurigen, dünnen Rattenschwänzchen.
»Darf ich hereinkommen, Frau Kousalová?«
»Bitte.« Sie öffnete widerwillig die Tür und ging voraus ins Wohnzimmer. Er folgte ihr. Sie setzte sich auf die Couch und deutete auf den Sessel, in dem er schon beim letzten Mal Platz genommen hatte.
Auf dem Tisch lag ein Päckchen Zigaretten, der Aschenbecher quoll fast über. In der Küche pfiff ein altmodischer Wasserkessel.
»Möchten Sie einen Kaffee? Ich habe eben Wasser aufgestellt.« Sie erhob sich schwerfällig.
»Gerne. Danke.«
Anděl sah ihr nach, als sie in die Küche ging. Was für eine traurige Gestalt, dachte er. Aber heute würde es keine Gnade geben. Sie würde reden, und wenn er sie ausquetschen musste wie eine Zitrone.
Nach einer Weile kam sie mit zwei Tassen Kaffee zurück, stellte sie auf den Tisch und setzte sich ihm gegenüber auf das Sofa.
»Sie leben allein hier, Frau Kousalová?«, fragte er.
»Ja. Ich bin geschieden. Mein Sohn lebt in Deutschland.«
Ein Sohn? Anděl konnte sich diese verhuschte Frau weder als Ehefrau noch als Mutter vorstellen. Als hätte sie seine Gedanken gelesen, sagte sie fast entschuldigend: »Ich habe vor fast fünfundzwanzig Jahren geheiratet – es hat nicht lange gehalten, nur ein paar Monate. Wie ich schon sagte, ich habe oft Albträume.«
»Ihr Sohn lebt bei seinem Vater?«
Sie schüttelte den Kopf. »Nein, er ist schon vierundzwanzig. Das Produkt einer Jugendliebe.« Sie lächelte. »Er macht gerade sein Examen. Maschinenbau. Aber Sie sind sicher nicht gekommen, um mich nach meinem Sohn zu fragen.«
»Nein. Sie haben gestern Vormittag Milan Hora besucht. Warum?«
Sie sah ihn erstaunt an. »Ich wollte mit ihm sprechen. Über den Abend damals. Ich wollte ihn fragen …« Sie schwieg.
Anděl wartete. Sie hatten Markéta Kousalová auf einem der Fotos entdeckt, die Antonín Cajthaml geschossen hatte.
»Ich wollte ihn fragen, was er gesehen hat. Was ich gesehen habe. Damals.«
»Haben Sie ihm erzählt, was Sie gesehen haben? Haben Sie ihm die Wahrheit gesagt?«
Sie schüttelte den Kopf. »Er hat nicht aufgemacht. Ich habe geklingelt, aber er hat nicht aufgemacht. Da bin ich wieder gegangen.«
»Aber Sie waren an seiner Wohnungstür. Wie sind Sie in das Haus gekommen?«
»Woher wissen Sie das?«, fragte sie.
»Die Nachbarin. Sie hat Sie vor seiner Tür gesehen.«
»Dann wissen Sie auch, dass er mir nicht aufgemacht hat.«
»Wie sind Sie in das Haus gekommen?«, fragte Anděl noch einmal.
»Jemand kam heraus. Da bin ich hineingegangen.«
Anděl nickte. Er zog ein Foto aus der Tasche seiner Jacke.
»War es diese Frau?«, fragte er und hielt ihr das Foto hin. Sie sah es flüchtig an und nickte. Er legte ein weiteres Foto auf den Tisch. Markéta nickte fast unmerklich. Sie nahm eine Zigarette aus dem fast leeren Päckchen auf dem Tisch und zündete sie an.
»Kennen Sie den Mann?«
»Nein. Als ich ging, wollte er ins Haus. Davon haben Sie doch sicher auch ein Foto.« Ihre Stimme klang resigniert.
»Ja, davon habe ich auch ein Foto.« Anděl legte es auf den Tisch. Auch er hatte bei Hora geklingelt, wie ihnen die Nachbarin gesagt hatte. Noch wussten sie nicht, wer er war, aber das würden sie schon noch herausfinden.
»Kennen Sie diese Frau?«, fragte er und deutete auf das Foto von Alena.
Markéta schwieg und blickte hinauf zum glitzernden Kronleuchter.
»Sie kennen diese Frau, nicht wahr?«
»Ich weiß es nicht. Sollte ich sie kennen?« Ihre Stimme klang unendlich müde.
»Sie
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