Nasses Grab
heißt Alena Freeman. Früher hieß sie Lenka Svobodová.«
Eine kleine Lüge im Dienste der Wahrheit, dachte Anděl. Wusste Markéta Konsalová wer damals tot in Danas Wohnung gelegen hatte?
Markétas Augen füllten sich mit Tränen. »Lenka«, flüsterte sie kaum hörbar.
»Was haben Sie an dem Abend im August 1977 wirklich gesehen, Markéta?«
Sie wischte sich ungeschickt die Tränen aus den Augen und zog an ihrer Zigarette. Die Spitze glühte auf. »Das habe ich Ihnen doch schon gesagt. Ich habe Dana auf dem Boden liegen sehen. Das ist alles.« Sie klopfte die Asche von der Zigarette und zog wieder daran.
»Sie haben gesagt, Sie hätten noch jemanden gesehen, bei der Toten.«
Sie schüttelte den Kopf. »Das muss ich geträumt haben. Das habe ich Ihnen doch auch schon gesagt. Milan hat gesagt, es sei alles in Ordnung gewesen. Dana wäre nur gestürzt.«
»Alena Freeman ist tot, Markéta. Jemand hat sie gestern auf der Treppe der Metro an der Staatsoper erschossen. Wen haben Sie damals hier gesehen?«
Sie sah ihm in die Augen und sagte bestimmt: »Niemanden.«
Anděl stand auf und steckte die Fotos zurück in seine Jackentasche. »Sie spielen mit Ihrem Leben, Markéta. Da draußen läuft jemand herum, der inzwischen drei Menschen auf dem Gewissen hat. Milan Hora ist auch tot. Wollen Sie die Nächste sein? Sagen Sie mir die Wahrheit – bitte!« Es war zum Verzweifeln. Warum redete die Frau nicht? Wen wollte sie schützen?
Markéta Kousalová schüttelte den Kopf und drückte die Zigarette im Aschenbecher aus.
»Ich kann Ihnen nicht mehr sagen.«
Im Flur fiel die Wohnungstür ins Schloss.
»Herzchen? Bist du zu Hause?«
»Ja, Mama, ich bin da«, antwortete Markéta mit tonloser Stimme.
»Was …?«, Lída Karafiátová hielt inne, als sie ins Wohnzimmer trat.
Anděl stand auf. »Guten Tag, Frau Karafiátová«, sagte er und stellte sich vor. »Mein Name ist Kapitán David Anděl, Mordparta .«
»Möchtest du auch einen Kaffee, Mama?«, fragte Markéta und stand ebenfalls auf.
Lída nickte zögernd. »Was wollen Sie von meiner Tochter?«, fragte sie Anděl.
»Setzen Sie sich doch bitte, Madame«, sagte Anděl, während er wieder Platz nahm.
Lída ließ sich auf dem zweiten Sessel nieder und wiederholte ihre Frage. »Was wollen Sie von meiner Tochter, Herr Kommissar?« Sie stellte ihre übergroße Handtasche neben sich ab und sah ihn mit hochgezogenen Brauen an.
Eine noch immer gut aussehende Frau, dachte Anděl, als sie die langen Beine elegant übereinanderschlug. Und sie weiß es, dachte er amüsiert. Sie war eine dieser Frauen, die, egal, wie alt sie waren, nicht anders konnten, als mit allem zu flirten, was nach Mann aussah. Er lächelte.
»Ich habe mit Ihrer Tochter über jenen Abend vor fünfundzwanzig Jahren gesprochen. Den Abend, an dem Dana Volná verschwand.«
»Und was hat meine Tochter damit zu tun?«
Aus der Küche hörte man das Klappern von Geschirr. Der Wasserkessel pfiff.
»Ihre Tochter war an dem Abend zu Hause, wie sie mir sagte«, sagte Anděl. »Wo waren Sie, Madame?«
Lída lachte. »Ich? Ich habe ein Konzert gegeben. In der Reduta. Warum?«
»Haben Sie die Zeitung gelesen, Frau Karafiátová?«, fragte er und überging ihre Frage.
»Die Zeitung? Nein, ich lese keine Zeitung. Das macht mich depressiv. Ist etwas passiert?«
Markéta kam mit einem Glas Kaffee aus der Küche und stellte es vor ihrer Mutter auf den Tisch. Auf dem Kaffee schwamm eine hohe Sahnehaube. Über Kalorien schien sich Lída Karafiátová nicht den Kopf zu zerbrechen. Erstaunlich, angesichts ihrer sehr schlanken Figur.
»Herzchen, hast du nicht ein Glas Sekt für deine alte Mutter?«, fragte Lída ihre Tochter. »Mein Blutdruck muss im Keller sein.«
»Tut mir leid, Mama, ich habe keinen.«
»Dann gib mir doch ein bisschen Eierlikör in den Kaffee, mein Herz. Ich brauche eine kleine Stärkung, wenn ich mit der Polizei reden soll.« Sie strahlte Anděl an. »Auch wenn es sich um einen sehr charmanten Vertreter der Staatsgewalt handelt.«
»Aber Mama!«, sagte Markéta empört und wurde rot.
Lída lachte. »Ach, Herzchen, sei doch nicht so puritanisch! Auch Polizisten sind Männer.«
Markéta ging zu dem Teewagen hinüber, von dem Anděl bei seinem letzten Besuch den Becherovka für sie geholt hatte, und griff nach einer unetikettierten Flasche mit dottergelbem Inhalt. Als sie zum Tisch zurückkam, nahm Lída ihr die Flasche aus der Hand und goss sich großzügig davon in den Kaffee. Markéta
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