Nasses Grab
gibt es einen Knall …«
»Was für einen Knall, Larissa?«, fragte Magda, nachdem Larissa eine Weile geschwiegen hatte. »Ist etwas umgefallen?«
»N-nein, es hörte sich eher an wie ein Schuss. Es war ein plötzlicher, lauter Knall. Ja, wie ein Schuss.«
»Was hast du dann getan?«
»Ich habe mich umgedreht und bin in den Hausflur gelaufen. Jays Tür ist aufgeflogen. Eine Frau kam herausgerannt – sie hat mich entsetzt angestarrt und blieb stehen, wie festgefroren.«
Larissa sah die aufgerissenen braunen Augen vor sich, ein vor Panik verzerrtes Gesicht. Wie ein in die Enge getriebenes Tier.
»Was ist dann passiert, Larissa?«
»Ich hatte Angst – ich stand da und hatte Angst.« Die Szene verschwamm. Sie öffnete die Augen. »Ich weiß es nicht, Magda, es verschwimmt alles.«
»Aber nein, du bist gut, Larissa. Schließ die Augen, wir haben Zeit. Denk nicht nach, lass einfach die Bilder kommen. Zwing sie nicht. Lass dich auf die Bilder ein. Du siehst die Frau. Sie hat Angst. Du hast Angst. Du hast einen Schuss gehört. Du stehst im Hausflur …«
»Jay. Wo ist Jay? Ich laufe an der Frau vorbei zu seiner Wohnungstür, in den Flur – ich rufe nach ihm. Er antwortet nicht. Ich gehe ins Wohnzimmer, es ist leer. Rechts hinter der Wohnzimmertür ist das Schlafzimmer, die Tür ist offen. Ich gehe hin. Jay steht im Schlafzimmer … irgendwo fällt eine Tür ins Schloss, ich höre Schritte im Flur. Jemand ruft ›Krasnohorský! ‹ Und dann trifft mich irgendwas von hinten …« Atemlos öffnete Larissa die Augen. »Jemand hat mir einen Schlag auf den Hinterkopf versetzt, bevor ich mich umdrehen konnte!«
»Sehr gut, Larissa«, sagte Magda lächelnd. »Wer hat nach Jay gerufen? Hast du die Stimme erkannt?«
Larissa schüttelte den Kopf.
»Nein. Aber es war ein Mann. Was ist passiert, Magda? Ich weiß noch immer nicht, was passiert ist.« Sie sah die Pathologin mit großen ängstlichen Augen an. »Was ist mit Jay?«
»Keine Sorge, unser Tausendsassa lebt«, sagte Xenia, »aber er hatte weit mehr Glück als Verstand.« Sie warf Magda einen Blick zu. »Und einen tüchtigen Schutzengel.«
Larissa blickte fragend von einer zur anderen. Jay ging es gut. Aber was zum Kuckuck war dann passiert? Jetzt, da sie ihre Erinnerung wiederhatte, vibrierte sie vor Ungeduld, den Rest der Geschichte zu erfahren.
»Würdet ihr mir bitte endlich verraten, was ich verpasst habe?«
»Jemand hat ihn angeschossen«, sagte Magda.
»Das weiß ich«, unterbrach Larissa sie, »diese Frau auf dem Flur, der Schuss. Aber Jay war okay, als ich ihn im Schlafzimmer sah. Aber danach – nachdem dieser Mann nach ihm gerufen hatte, was ist passiert?«
»Wie du schon sagtest, der Mann hat dich niedergeschlagen. Und dann hat er versucht, Jay zu erschießen, Larissa, er hat nur nicht gut genug getroffen.«
»Wärst du nicht kurz darauf dort gewesen, hätte er ganze Arbeit geleistet«, warf Xenia ein, »du hast ihm das Leben gerettet.«
»Du warst auch dort?«, fragte Larissa verblüfft. »Wie das?«
Magda nickte.
»Hm. Ich wollte mit Jay reden – es gibt da einiges zu besprechen. Aber das wird jetzt ein bisschen warten müssen, er ist operiert worden, und es geht ihm so weit gut.«
Larissa sah sie skeptisch an. Etwas zu besprechen? Was? Was hatte Magda mit Jay zu besprechen?
»Sag es ihr. Sie stirbt sonst vor Neugier«, sagte Xenia grinsend.
Magda warf Xenia einen genervten Blick zu.
»Xenia, das ist meine Sache – ich …«
»Ach, komm schon, mach kein Staatsgeheimnis draus. Ich bin jedenfalls stolz auf meine Stieftochter«, sagte Xenia und kicherte.
»Deine Stieftochter? Ich verstehe gar nichts mehr …«
»Jawohl«, sagte Xenia fröhlich, »Magda ist meine Stieftochter. Jay ist ihr Vater. Magda hat ihm mit ihren Zauberkügelchen das Leben gerettet.«
»Quatsch«, sagte Magda unwirsch, »ich habe nur dafür gesorgt, dass er lebendig bleibt, bis der Notarzt kommt. Dass er lebt, verdankt er dem Notarzt und der OP.«
»Der Notarzt war da anderer Ansicht, wie ich gehört habe.«
Magda zuckte die Achseln.
»Du bist Jays Tochter?« Larissa konnte es noch immer nicht fassen. »Und Dana ist …«
»Meine Mutter. Die Familienverhältnisse sind ein wenig komplizierter geworden, ja.«
»Woher wisst ihr das alles?«
»Meine Großmutter fand, es sei an der Zeit, einige Dinge klarzustellen. Sie hat es mir erzählt. Und Anděl hat von seiner Mutter erfahren, dass Jay mein Vater ist.« Bevor Larissa nachfragen konnte, fuhr Magda fort und
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