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Nasses Grab

Nasses Grab

Titel: Nasses Grab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helena Reich
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Kreuze. Solche Zuckerwürfel hatte ihre Großmutter immer bei ihren Besuchen in Deutschland und später in Kanada aus der damaligen Tschechoslowakei mitgebracht. Larissa hatte sie schon als Kind grässlich gefunden.
    »Ganz genau kann ich Ihnen das nicht sagen, aber so für rund hunderttausend, glaube ich.« Myška zündete sich eine Zigarette an. »Oh, entschuldigen Sie«, fügte er hinzu und bot Larissa auch eine aus seiner zerdrückten Schachtel Sparta an. Larissa zog eine Zigarette heraus, und Myška lehnte sich über seinen leeren Schreibtisch und gab ihr Feuer. Durch die schmalen Brillengläser starrten zwei aufgerissene Augen auf ihr Dekolleté.
    »Wie viel Zeit hätten denn die Menschen gehabt, um in die Metro zu kommen?«, fragte Larissa irritiert. Sie versuchte sich vorzustellen, wo in der Altstadt Eingänge zur Metro waren. Ihr fielen nicht sehr viele ein. Die Station am Altstädter Ring mit drei Eingängen, der Můstek am unteren Ende des Wenzelsplatzes, da waren es vier; vielleicht noch am Platz der Republik, der hatte sechs Eingänge. Möglicherweise auch die Station Národní třída zwischen Alt- und Neustadt. Mehr fielen ihr beim besten Willen nicht ein.
    »Nun, wenn die Sirenen aufgeheult hätten – im Falle eines Falles -, dann hätten die Bewohner der Altstadt etwa vier Minuten Zeit gehabt, sich in der Metro in Sicherheit zu bringen. Danach wären dann die stählernen Drucktüren zugegangen, und niemand wäre mehr hinein- oder hinausgekommen.« Myška zog gierig an seiner Zigarette.
    »Nicht eben viel Zeit, wenn man sich überlegt, wie weit die Metrostationen in der Altstadt voneinander entfernt sind«, bemerkte Larissa. »Aber gesetzt den Fall, von den Eingeschlossenen wäre jemand krank geworden in den folgenden Tagen oder Wochen, oder gar gestorben, was hätte man getan? Gab es dafür Einrichtungen in der Metro?«
    »Na, Sie stellen aber Fragen, Frau Redakteurin«, sagte Myška und kicherte glucksend. » Nojó , es wären ja sicher auch Ärzte anwesend gewesen«, antwortete er schließlich.
    »Vielleicht haben Sie neulich den kleinen Artikel in der Zeitung gelesen. In der Metro wurden nach dem Hochwasser Särge gefunden. Es gab also offenbar so etwas wie eine Leichenhalle. Können Sie mir darüber auch etwas sagen?«
    In Myškas Augen blitzte zum ersten Mal so etwas wie Interesse auf, und sein Blick, der während des bisherigen Gesprächs lüstern auf Larissas Dekolleté geruht hatte, wanderte für einen Moment irritiert zu ihrem Gesicht.
    »Lieber Gott«, sagte er schnell, »nein, also von einer Leichenhalle kann man da nicht sprechen, nein, das sicher nicht. Sagen wir vielleicht ein Lagerraum, ja, ein Lagerraum, in dem man auch ein paar Särge deponiert hat. Das wäre ja im Großen und Ganzen durchaus sinnvoll, nicht wahr? Im Falle eines Falles hätte man ja, wie Sie sagten, mit dem einen oder anderen Todesfall rechnen müssen.«
    Sein Blick verfing sich wieder in Larissas Dekolleté. Sie fand es höchst irritierend, dass der Mann offenbar nur mit ihrem Busen zu sprechen geneigt war. Langsam musste er sich doch wahrhaftig sattgesehen haben. Nur noch eine Frage, dann würde sie endlich aufstehen und gehen. Sie fand das Büro erdrückend in seiner braunen Eintönigkeit – und den Mann unerträglich. Die Zigarette war ebenso schrecklich wie der Kaffee. Der Rauch kratzte in ihrem Hals. Sie drückte die nur halb gerauchte Zigarette in Myškas Aschenbecher aus.
    »Können Sie mir sagen, wo sich das Krankenhaus in der Metro befand?«, fragte Larissa.
    Myškas Blick flog förmlich ein Stockwerk höher. Er setzte an zu sprechen und schloss den Mund wieder. Er sah aus wie ein großer, nach Luft schnappender Karpfen.
    »Ein Krankenhaus?«, fragte er schließlich. »Nein, also wirklich, nein, nein. Wo haben Sie denn so was her? Nein, von einem Krankenhaus kann absolut keine Rede sein. Da müssen Sie etwas missverstanden haben. Ein Krankenhaus hat es sicher nicht gegeben. Vielleicht einen für entsprechende Zwecke umgebauten Waggon, aber kein Krankenhaus.«
    Wer ihr denn das erzählt habe, hakte er nach, den Blick schon wieder auf ihre Brust geheftet. Larissa sagte etwas von einem Gerücht und erhob sich.
    » Nojó «, sagte Myška sichtlich erleichtert, »Gerüchte gibt es in dieser Stadt wie Sand am Meer.«
    Mit Mühe riss er seinen Blick von ihrem Busen los und sah ihr einen Moment lang tatsächlich in die Augen.
     
    »Sie kehren da doch was unter den berühmten Teppich, Anděl, machen Sie mir

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