Nasses Grab
nichts vor! Oder unterhalten Sie sich neuerdings nur mit den Leuten von der Post ?« Michal Dlouhý war offensichtlich verärgert. »Was ist an dieser Geschichte dran, Mann?«
David Anděl seufzte. Früher Morgen, und schon nervte ihn die Presse. Diesen Anruf konnte er gar nicht gebrauchen. Hätte er das verdammte Telefon doch klingeln lassen. Zumal er überhaupt nicht wusste, wovon Dlouhý sprach. Während der Redakteur der MFDnes sich weiter über die mangelnde Kooperationsbereitschaft des Kommissars beschwerte, winkte Anděl seiner Kollegin Meda Cyanová, die an einem Besprechungstisch schräg gegenüber saß, und hielt die Hand über die Sprechmuschel.
»Lauf runter, Meda, und hol mir bitte eine Prague Post . Beeil dich!« Er nahm die Hand wieder vom Hörer und räusperte sich. »Ich wünsche Ihnen auch einen guten Morgen, Herr Redakteur. Sie wünschen?«
Er musste Zeit gewinnen, ohne dass der Journalist merkte, dass er keine Ahnung hatte, worum es ging. Hoffentlich hatte der Zeitungskiosk unten an der Ecke überhaupt eine Prague Post . Anděl selbst las diese Zeitung nie. Sein Englisch war ausgezeichnet, und die tschechische Tagespresse stillte seinen Bedarf an Nachrichten mehr als genug.
»Entschuldigen Sie, Herr Kommissar. Guten Morgen, und verzeihen Sie bitte meinen Ausbruch. Mein Chef sitzt mir im Nacken. Sonst schreiben die von der Post bei uns ab, wissen Sie, na – egal.« Anděl sah Dlouhýs irritiertes Kopfschütteln buchstäblich vor sich. »Es geht um die Titelgeschichte in diesem Saftblatt. Es schreit von der Titelseite: Who is the Metro-Mummy? Sie wollen doch wohl nicht sagen, dass Sie nicht wissen, wovon ich spreche? Letzte Woche lyncht mich beinahe Ihr liebreizender Chef Oberst Kohout, weil ich von den Särgen geschrieben habe – er hat mir tatsächlich mit dem Geheimdienst gedroht! Dabei leben wir inzwischen Gott sei Dank in einem freien Land! Der Mann hat offenbar noch nie etwas von Pressefreiheit gehört!«, echauffierte sich Dlouhý. »Was sagen Sie dazu?«
»Selbstverständlich, Sie haben völlig recht, die Pressefreiheit ist ein unbezahlbares Gut«, murmelte Anděl.
Meda kam auf ihren hohen Pfennigabsätzen durch die Tür geklappert und legte Anděl keuchend ein Exemplar der Post auf den Tisch. Dlouhý hatte recht. Die Mumie war die Titelgeschichte. Sogar ein Foto vom Feuerwehreinsatz am Můstek hatten die irgendwo aufgetrieben. Immerhin keines von der Mumie.
»Und nun lese ich«, fuhr Dlouhý noch immer aufgebracht fort, »dass Sie da unten eine Mumie gefunden haben. Also, was ist da dran? Unsere transatlantischen Kollegen haben sich die Geschichte doch wohl nicht aus den Fingern gesogen, oder?«
Anděl überflog den Bericht.
»Entschuldigen Sie«, sagte er schließlich, »ich persönlich habe gar nichts in der Metro gefunden. Außerdem muss ich mich hier um eine dringende Angelegenheit kümmern. Ich danke für Ihren Anruf und möchte Sie bitten, sich in dieser Angelegenheit an unsere Pressestelle zu wenden. Sie wissen ja, wie die Hierarchie hier funktioniert.« Er verabschiedete sich und legte auf, noch bevor Dlouhý etwas erwidern konnte.
»Na prächtig«, sagte Anděl. »Da haben wir den Salat.«
»Worum geht es eigentlich?«, fragte Meda.
»Lies selbst«, erwiderte Anděl und deutete auf die Titelgeschichte.
Meda Cyanová, eine junge Kriminalbeamtin aus seinem Team, stellte sich hinter ihn und überflog den Artikel. Sie war eine grazile, hübsche, hochgewachsene Blondine, und zum Missfallen von Oberst Kohout auch noch ausgesprochen intelligent.
»Junge, Junge! Kohout wird platzen«, bemerkte sie in ihrer trockenen Art und kicherte leise beim Gedanken an den Chef der Mordparta . Sie drehte die Zeitung zu sich herum, um den Namen über dem Bericht besser lesen zu können. By Larissa Khek , stand da. »Woher weiß diese Reporterin das alles?«
Anděl lehnte sich in seinem Stuhl zurück. »Gute Frage, Meda.«
Ja, das war die Frage. Woher wusste eine Reporterin dieser im Allgemeinen alles andere als aktuellen englischsprachigen Wochenzeitung so viel über die Särge und die Mumie? Alles, was er mit der neuen Gerichtsmedizinerin im Ráj besprochen hatte, stand in diesem vertrackten Bericht – und noch eine ganze Menge mehr.
Das musste es sein. Sein Gespräch mit Magdalena Axamit. Am Nebentisch hatte eine hübsche Brünette gesessen und irgendwas in ihren Laptop getippt. Er hatte sie für eine Studentin gehalten. Verdammt, diese Stadt war ein Dorf. Meda hatte völlig recht,
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