Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nasses Grab

Nasses Grab

Titel: Nasses Grab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helena Reich
Vom Netzwerk:
interessante Ungereimtheit, Meda, aber Dana Volná ist nicht unsere Mumie. Ganz egal, ob sie vor oder hinter der Grenze gestorben ist.«
    Er nahm eine weitere Akte von einem Stapel.
    »Hm. Ja.«
    »Aber eines ist in der Tat seltsam«, fuhr Anděl nachdenklich fort und blickte zu ihr auf. Er war im Grunde dankbar für die kleine Unterbrechung. Seine bürokratischen Pflichten als Beamter der Kriminalpolizei fand er mehr als öd. »Wie ist sie als junge, alleinstehende Frau überhaupt an so eine Ausreisegenehmigung gekommen?«
    Meda sah ihn verständnislos an.
    »Na, es war 1977, Kalter Krieg, Eiszeit in der damaligen ˇSSR. Eine Frau wie Dana Volná hätte niemals eine Ausreisegenehmigung für Jugoslawien bekommen, jedenfalls nicht, wenn sie allein verreisen wollte.« Er dachte einen Moment nach. »Außer, sie wäre verheiratet gewesen, und ihr Mann wäre hiergeblieben. Aber das war sie nicht. Oder …« Er schüttelte den Kopf.
    »Oder was?«
    »Oder«, sagte Anděl, »sie war ein Spitzel. Aber dann hätte sie mit einer Reisegruppe verreisen müssen – um jemanden zum Bespitzeln zu haben, über den oder die sie später berichten konnte. Das kommt also auch nicht infrage, denn da steht nichts von einer Reisegruppe.« Er fuhr sich mit einer Hand durch die kastanienbraunen Locken und starrte an die Decke.
    »Na, der Gott durfte doch auch ins westliche Ausland«, sagte Meda.
    »Schon, aber um dort zu arbeiten. Und ich glaube nicht, dass die Volná für eine Woche ein Engagement in …«, er überflog das Formular, »hier, in Rovinj hatte. Die haben da vermutlich noch nicht einmal ein Theater, das ist ein kleiner Ort in Istrien.«
    »Dann war es eben einfach ein Urlaub. Vielleicht hatte sie Freunde an entsprechender Stelle.«
    »Hm. Möglich. Aber wie dem auch sei, sie kann nicht die Mumie sein – egal, was dieser Trittbrettfahrer unserer kleinen Reporterin da aufschwatzen wollte. Es stand damals in allen Zeitungen, dass Dana Volná bei diesem Unfall ums Leben gekommen ist.«
    Meda sah ihn skeptisch an.
    »Seit wann glaubst ausgerechnet du alles, was in der Zeitung steht? Komm schon, David, nehmen wir an, die Volná wollte verreisen – egal, wie sie nun an die Ausreisegenehmigung gekommen ist -, und irgendjemand hat sie vorher umgebracht und dann …«
    »Na schön. Und dann was, Meda?«, unterbrach Anděl sie. Er zog eine Schublade seines Schreibtischs auf und legte die Beine darauf. Was-wäre-wenn war ein amüsantes Spiel. Die Akten konnten auch noch fünf Minuten warten. Er lehnte sich mit vor der Brust verschränkten Armen zurück und sah seine junge Kollegin lächelnd an.
    »Also gut, nehmen wir einmal an«, fuhr er fort, » just for the sake of argument , wie es so schön heißt, nehmen wie also an, der Mann, der unsere fleißige Reporterin angerufen hat, sagte die Wahrheit, und die Mumie ist Dana Volná. Jemand bringt sie um und versteckt sie in der Metro. Was dann?«
    »Na ja, dann …« Meda stockte.
    »Dann ruft ihr Mörder bei der Polizei und bei den Zeitungsredaktionen an und erzählt denen, die Volná sei bei einem Unfall ums Leben gekommen, und die glauben ihm das ohne Weiteres und drucken diese Information einfach ab? Ohne sie zu überprüfen? Vergiss es, Meda. Was du da vorschlägst, heißt, dass unser Mörder Freunde in höchsten Kreisen gehabt haben müsste, die ein Interesse daran gehabt hätten, ihn zu schützen. Da würde mindestens der Geheimdienst mit drinhängen.« Anděl schüttelte den Kopf.
    »Das wäre immerhin möglich, oder?«
    Anděl sah sie zweifelnd an. Seiner Miene war deutlich zu entnehmen, dass er diese Möglichkeit für ebenso wahrscheinlich hielt wie Schneefall in der Sahara.
    »Es wäre auch möglich, dass die Hölle zufriert.«
    »Warum denn nicht? Du weißt doch selbst, dass diese Stadt von Gerüchten lebt, schon immer gelebt hat. Nichts einfacher, als hier ein Gerücht zu streuen.«
    »Ein Gerücht zu streuen, reicht da nicht. Allein um jemanden zu beerdigen, braucht man ein Dutzend Formulare, Meda. Außerdem wissen wir überhaupt nicht, wo die Volná beerdigt ist. Vielleicht liegt sie im ehemaligen Jugoslawien, vielleicht hier in Prag. Ich halte es jedenfalls für hochgradig unwahrscheinlich, dass unsere Mumie Dana Volná ist.«
    »Mag sein, dass es unwahrscheinlich ist, aber unmöglich ist es nicht. Immerhin kann man feststellen, wo sie beerdigt wurde. Und das mit dem Unfall glaube ich erst, wenn ich es schwarz auf weiß geschrieben sehe – und zwar nicht in einer Zeitung«,

Weitere Kostenlose Bücher