Nasses Grab
erwiderte Meda trotzig.
Sie ging zurück zu ihrem Schreibtisch und betrachtete nachdenklich das vergilbte Formular. David hatte wahrscheinlich recht. Aber irgendwie hatte Larissa ihr einen Floh ins Ohr gesetzt. In ihrem Hinterkopf saß ein – vermutlich unbegründeter – Zweifel an Davids Ausführungen. Es stimmte schon, die Sache mit der Ausreisegenehmigung war eigenartig. Wenn die Volná verheiratet gewesen war, musste sich das feststellen lassen. Aber wenn sie, wie David angedeutet hatte, ein Spitzel oder gar eine angehende Spionin gewesen war – nicht auszudenken, wer dann hinter der ganzen Sache stecken musste. Alles höchst unwahrscheinlich. Aber trotzdem. Es war immerhin eine Möglichkeit. Unwahrscheinlich zwar, aber nicht unmöglich. Es konnte nicht schaden, ein wenig zu graben. Wenn die Volná bei einem Unfall ums Leben gekommen war, musste es darüber Aufzeichnungen gegeben haben. Jedenfalls dann, wenn die Schauspielerin noch auf tschechoslowakischem Staatsgebiet umgekommen war. Damit würde sie sich zuerst befassen. Mit etwas Glück gab es die Aufzeichnungen noch immer. Und wenn der Unfall in Jugoslawien passiert war? Das hatte Zeit. Erst mal das Naheliegende. Sie warf noch einen Blick auf das Formular. Unter den persönlichen Angaben war noch eine Zeile, die sie überlesen hatte:
Antrag bewilligt am: _____________
Kein Eintrag. Sie stutzte. Kein Eintrag? Wie konnte das sein? Hatte man den Ausreiseantrag überhaupt nicht bearbeitet? Meda sah auf den anderen Formularen nach, die sie schon zur Seite gelegt hatte. Dieses Feld war auf allen ausgefüllt – entweder stand ein Datum dort oder ABGELEHNT. Seltsam, dachte sie. Sie legte das Blatt zurück in den Aktendeckel und verließ nachdenklich das Büro. Ihre Mittagspause konnte sie genauso gut dazu nutzen, ihre Neugier zu befriedigen. Appetit hatte sie ohnehin nicht. Sie wollte diesem Unfall auf den Grund gehen.
Im Archiv fragte sie eine ältere Beamtin nach Aufzeichnungen über Verkehrsunfälle vom Sommer 1977. Die Frau sah sie entgeistert an.
»Das meinen Sie doch wohl nicht im Ernst, oder? Sie wollen wirklich, dass ich nach einem Unfall im Sommer 1977 suche? Das ist doch längst alles verjährt, meine Liebe. Was wollen Sie denn mit diesem alten Zeug?«
Meda bestand darauf. Sie könne beim Suchen helfen, bot sie an. Die Frau winkte ab. Sie könne es nicht brauchen, dass jemand hier Unordnung mache. Meda schrieb Dana Volnás Namen und ihr Geburtsdatum auf einen Zettel und notierte darunter den Zeitraum, den sie gesichtet haben wollte – August und vorsichtshalber auch den September 1977. Die Archivarin versprach anzurufen, falls sie etwas finden sollte.
»Meinen Sie, es gibt die Unterlagen über diesen Unfall nicht mehr?«, wollte Meda wissen.
»O doch, sicher gibt es die. Wenn diese Frau in diesem Zeitraum einen tödlichen Unfall hatte, finde ich die Akte auch. Ich bin seit vierzig Jahren hier, und ich habe noch nie etwas weggeworfen. Nicht dass ich keine Anweisungen dazu bekommen hätte. Die Sachen werden ja nach und nach in den Computer eingegeben, und nach einigen Jahren kann vieles vernichtet werden. Aber ich habe trotzdem immer alles aufgehoben.« Sie lächelte stolz. »Ich traue den Computern nicht, wissen Sie. Erst letzte Woche sind wieder ein paar hier unten abgestürzt. Die Arbeit von Stunden zum Teufel. O nein. Akten vernichtet man nicht einfach. Man kann ja nie wissen.«
»Aber das müssen doch Unmengen an Papier über die ganzen Jahre sein«, sagte Meda und blickte sich in dem düsteren Raum um. An allen Wänden standen deckenhohe Regale, die mit Aktendeckeln und Ordnern vollgestellt waren. Im Raum roch es nach altem Staub, sozialistischem Staatsputzmittel und irgendeinem penetranten Raumdeo. »Wo haben Sie denn all die Ordner untergebracht?«
Die Frau sah Meda skeptisch an. »Na, behalten Sie’s für sich, Kindchen, ja? Es gibt da hinten noch ein paar halb vergessene Kellerräume.« Sie nahm den Zettel und machte sich auf den Weg in die dunklen Gewölbe.
Kommissar David Anděl blickte nachdenklich auf die Papiere auf seinem Schreibtisch, nachdem Meda Cyanová den Raum verlassen hatte.
Die ganze Geschichte war absurd. Was genau hatten sie eigentlich? Eine tote Frau. Eine Leiche, die man mumifiziert und in einem geheimen Raum in der Metro abgelegt hatte. Der Mörder hatte sich sehr viel Mühe gegeben, die Leiche zu verstecken. Aber warum in der Metro? Immerhin hatte der Mörder riskiert, mit einer Leiche im Stadtzentrum gesehen
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