Nasses Grab
haben sie schon eher beide heimlich geheiratet.« Lída lachte. »Na, jedenfalls ist Dana nach Jugoslawien und Lenka eben nach Österreich, wie auch immer sie das geschafft haben. Sie wollten sich in New York treffen – ja, dann wollten sie wohl nach Amerika. Wie in diesem Film mit Gary Grant und Deborah Kerr, wissen Sie? Ein Stelldichein auf dem Empire State Building. Herrlicher Film – so dramatisch!« Lída nahm wieder einen Schluck Sekt. Von Nippen konnte keine Rede sein, das Glas war nur noch halb voll, als sie es auf den Tisch zurückstellte.
»Diese Lenka. War sie auch Schauspielerin?«
Lída sah Larissa entgeistert an. »Sie wissen nicht, wer Lenka Svobodová war? Herzchen, das ist eine echte Bildungslücke! Und ob sie Schauspielerin war! Aber sie machte mehr Theater, weniger Film.«
»Und außer Ihnen wusste niemand, dass die beiden vorhatten, im Westen zu bleiben?«
»Sind Sie verrückt?« Lída kicherte und lehnte sich verschwörerisch zu Larissa über den Tisch. »Nein, nein. Nur ich wusste davon. Wenn irgendjemand sonst davon erfahren hätte, wären die beiden bestenfalls ins Gefängnis gereist. Nein, nein, das haben wir schön für uns behalten. Ich kann schweigen wie ein Grab, von mir hat keiner was erfahren.«
Sie hielt einen Moment inne und blickte gedankenverloren den Wenzelsplatz hinunter.
»Dana war – na, sie ist tot, die arme Seele. Hat meiner Tochter sogar ihr Schmuckkästchen dagelassen. Hat es eingepackt vor die Tür gelegt, bevor sie gefahren ist, wissen Sie. Markéta hat sich so gefreut. Sogar das Kärtchen hat meine Tochter heute noch, und die Schatulle steht immer auf ihrer Kommode im Schlafzimmer. Wenn man sie aufmacht, tanzt eine kleine Ballerina zu Mozarts ›Kleiner Nachtmusik‹. Markéta hat Dana angebetet. Sie war ja auch wirklich wunderschön, wissen Sie. Lange dunkle Haare und so ein klassisches Gesicht, völlig alterslos. Sie wäre heute noch eine Schönheit. Aber für Kinder hatte sie nicht viel übrig, konnte nichts mit ihnen anfangen. War im Grunde selbst noch ein Kind. Kein Verantwortungsgefühl. Es war schon komisch, wissen Sie, ich hätte nie gedacht, dass Dana meiner Markéta das Kästchen schenkt. Sie hing daran wie an ihrem Augapfel. War von ihrer Großmutter, hat sie mir mal erzählt. Meine Tochter hat Dana sehr bewundert, auch wenn Dana kaum je mit ihr gesprochen hat. Aber Lenka hat sie geliebt. Die war ganz anders, wissen Sie, die konnte gut mit Kindern, ist mit Markéta ins Ballett gegangen und ins Museum. Und später hat sie sie auch auf Partys mitgenommen.«
Lída runzelte leicht die sonst mustergültig faltenfreie Stirn. Ob sie wohl mit Botox nachhilft, fragte sich Larissa amüsiert. Wohl kaum, dachte sie, das Zeug war mit Sicherheit für die meisten hier noch viel zu teuer. Also lag es wohl doch an den Genen.
»Aber vielleicht tue ich Dana unrecht«, fuhr Lída, nun wieder mit absolut glatter Stirn, fort. »Sie mochte Markéta wohl lieber, als ich dachte. Und großzügig war sie, das muss man ihr lassen. Sie hat Lenka an jenem Abend gesagt, sie könne sich ihr neues rotes Kleid nehmen, sie solle es einfach am nächsten Abend nach der Arbeit in ihrer Wohnung abholen. Sie hat Lenka noch die Schlüssel gegeben, weil ich ihr nicht aufmachen konnte – ich hatte ein Konzert. Lenka wollte nämlich vor ihrer Abreise noch auf irgendeine Party. Sie konnte ihr Glück gar nicht fassen, Dana hatte das Kleid nur einmal angehabt. Ein traumhaftes Kleid. Rote Seide. – Na, und Lenka hat sich auch nie wieder gemeldet. Wie das Leben so spielt – aus den Augen, aus dem Sinn.« Sie warf ihre Hände lachend über den Kopf. »Aber das wollen Sie ja gar nicht alles wissen, diese kleinen Erinnerungen. Sie müssen mich einfach unterbrechen, wenn ich abschweife, Herzchen.«
Larissa beobachtete die Sängerin mit wachsender Faszination. Sie hatte noch nie jemanden erlebt, der derartig vom Hundertsten ins Tausendste springen konnte und trotzdem nicht den Faden verlor. Lída sprudelte wie ein amüsanter Wasserfall. Offenbar war es wieder an der Zeit, die Stimmbänder zu ölen – für die nächste Runde. Lída trank ihr Glas aus und bestellte noch einen Sekt.
»Möchten Sie nicht auch einen?«, fragte sie und warf einen zweifelnden Blick auf Larissas halb leeres Ginger Ale. »Es ist zwar nur Bohemia, aber nicht übel. Ach, dieser Champagner an Danas Geburtstag! Ein Veuve Clicquot. Herrlich! Wasser ist einfach nichts für mich. Fische paaren sich darin.« Sie lachte schallend
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