Nasses Grab
über ihren Witz.
»Haben Sie je Danas Grab auf dem Friedhof besucht?«
»Wo denken Sie hin! Nein, nein, ich gehe grundsätzlich nicht auf Friedhöfe, da komme ich noch früh genug hin, Herzchen. Aber ehrlich gesagt, wusste ich gar nicht, dass sie hier beerdigt ist. Ich dachte, sie sei in Jugoslawien beigesetzt worden.«
»Hatte sie denn keine Angehörigen?«, fragte Larissa.
»Nun, sie hatte wohl Eltern, nicht? Aber soweit ich weiß, hatte sie mit ihrer Familie keinen Kontakt. Sie hat jedenfalls nie etwas von Eltern oder Geschwistern erzählt. War sehr verschlossen, was das anging. Ich hatte ja den Eindruck, dass sie sich mit denen überworfen hatte. Ich weiß noch nicht mal, wo sie geboren ist. Nicht in Prag jedenfalls. Ich würde sagen, irgendwo im Westen, Pilsen vielleicht, oder noch weiter. Als ich sie am Konservatorium kennenlernte – das war 1960, ja -, da sprach sie so wie diese Provinzler dort an der Grenze, wissen Sie. Nicht unseren schönen Prager Singsang. Aber sie hat schnell gelernt. Nach ein paar Wochen hörte sie sich an wie eine waschechte Pragerin. Wie gesagt, sie war eine wunderbare Schauspielerin. Wirklich begabt. Und sie konnte jeden Akzent nachmachen, auch wenn sie die Sprache nicht konnte. Unglaublich. Aber warten Sie«, Lída fächelte sich nachdenklich Luft zu, »ich glaube, sie hatte zumindest eine Schwester. Ich habe sie mal mit ihr gesehen, aber das ist ewig her. Das war, als Dana mal zur Kur irgendwo in die Pampa gefahren ist. Ich weiß gar nicht, was sie dort wollte. Na, sie hatte ein bisschen zugenommen, aber sonst ging es ihr gut. Ich weiß noch, dass ich sie ein bisschen geneckt habe, ob sie nicht vielleicht schwanger sei. Meine Güte, was hat sie mich für diese harmlose Bemerkung angeherrscht! Ihre Schwester hat sie damals abgeholt. Ich habe die beiden vor der Wohnungstür getroffen, als ich vom Einkaufen kam, sie hatten ein paar Koffer dabei und waren auf dem Weg zum Bahnhof.«
»Woher wissen Sie, dass es ihre Schwester war? Hat Dana Ihnen das gesagt?«
»Das musste sie gar nicht, Kindchen. Die beiden sahen sich so unglaublich ähnlich. Ich wusste im ersten Moment gar nicht, welche von beiden Dana ist. Dann hab ich sie an den Kleidern erkannt. Dana war immer perfekt angezogen, wissen Sie, und nichts von der Stange. Hat sich alles nähen lassen. Ach, wenn ich nur an diesen Traum von einem Kleid denke! Aus glänzender blutroter Seide – traumhaft! Es war ein ganz schlichtes, langes Etuikleid mit einem großen Ausschnitt und einem langen Schlitz im Rock. Den Stoff hatte Honza ihr aus Indien mitgebracht. Ich sagte ja, er kam an die wunderbarsten Dinge ran. Und sie hat sich aus dem Rest noch Schuhe machen lassen, hohe Pumps.« Sie unterbrach sich, um endlich auch einen Schluck Wasser zu trinken.
»Das Kleid hat, wie gesagt, Lenka mitgenommen – nehme ich jedenfalls an«, sagte sie nachdenklich, »denn als ich ein paar Tage nach Danas Abreise ein paar Dinge aus ihrer Wohnung geholt habe, war es nicht mehr da. Nun, sie hatte Lenka ja gesagt, sie könne es haben. Bei Landesflucht konfiszierte die Polizei alles, wissen Sie, und Dana hatte gesagt, ich solle mir nehmen, was ich möchte. Na, und da bin ich ein paar Tage später rübergegangen und habe das eine oder andere mitgenommen, Kleinigkeiten, ein bisschen Geschirr und Gläser und so was, und habe im Schrank nachgesehen, was sie an Klamotten dagelassen hatte. Sie konnte auf einen Urlaub am Meer ja nicht alle Sachen mitnehmen, die in ihrem Kleiderschrank hingen, nicht wahr? Bei Lenka habe ich auch vorbeigeschaut, sie hatte mir auch ihren Schlüssel gegeben, wollte ja auch nicht wiederkommen. Lenka muss, jetzt wo ich darüber nachdenke, mit sehr kleinem Gepäck gereist sein, es war fast alles noch da, als ich im Schrank nachgesehen habe. Wir hatten die gleiche Kleidergröße, wissen Sie. Und wir haben uns gegenseitig oft etwas ausgeliehen. Wahrscheinlich ist sie nur mit einem Rucksack gefahren, ihr Koffer lag jedenfalls noch auf dem Schrank. Na, sie konnte ja auch nicht viel mitnehmen, offiziell fuhr sie ja nur für zwei Wochen zu ihrer alten Tante.«
Lída sah auf ihre goldene Armbanduhr und sprang auf. »Oje, meine Liebe, es ist schon spät! Ich treffe mich gleich noch mit meiner Tochter. Tut mir leid, ich muss los, sie schimpft mich immer aus, weil ich es einfach nicht schaffe, pünktlich zu sein.« Lída stand auf und streckte Larissa die Hand hin. »Auf Wiedersehen, Kindchen, melden Sie sich bald mal. Ach was, ich schicke
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