Nasses Grab
ihnen bei uns schmeckt und weil sie sich hier wohlfühlen. Manche betrachten es als eine Art ausgelagertes Wohnzimmer. Und das soll so bleiben. Wenn ein Lokal erst einmal ein sogenannter ›Geheimtipp‹ ist, der in jedem Reiseführer steht, dann können Sie den Laden genauso gut auch zumachen oder meistbietend verkaufen. Das ruiniert die Atmosphäre – und meistens auch die Küche.« Sie stocherte in ihren inzwischen erkalteten Linguine mit Meeresfrüchten. »Nehmen Sie das U Králů, um die Ecke vom Betlémský-Platz. Das war eine wunderbare böhmische Kneipe, malerisch versteckt unter einem uralten, pechschwarzen Holzgerüst – noch vor sechs, sieben Jahren. Dann hat irgendjemand begeistert über deren urböhmische Küche geschrieben, die Touristen kamen, es wurde renoviert, das Gerüst verschwand, noch mehr Touristen strömten hin, und inzwischen sieht es dort aus wie in Disneyworld. Und das Essen ist auch nicht mehr das, was es mal war. Und die Kellner sind unerträglich.« Sie schüttelte angewidert den Kopf. »Ein Jammer, ich bin früher gerne hingegangen. Die Kinder haben es geliebt. Nein, wir wollen fein und geheim bleiben, nicht wahr, Xenia?«
Xenia stellte in diesem Moment eine große Kiste neben den Tisch.
»Bitte? Fein und geheim? Ja. Magda hat völlig recht. Keine Wagenladungen von Touristen für unser Paradies. Also keine preisenden Artikel in der Post , bitte!« Xenia lächelte Larissa mit einem verschmitzt-strengen Gesichtsausdruck an. Dann fuhr sie fröhlich fort: »Voilà. Die Zeitschriften. Ziemlich verstaubt, aber ich denke, wir haben Chancen, Ihre zwei Künstlerinnen zu finden. Die Zeitungen sind alle von 1974 bis 1979. Also, los! Wer sie findet, kriegt einen doppelten Port.« Sie setzte sich und legte einen Stapel der alten Illustrierten auf Larissas Schoß und einen zweiten auf Magdas weiße Leinenhose.
»Weg da!«, kreischte Magda. »Nimm dieses verstaubte Zeug von meiner Hose! Die kommt frisch aus der Reinigung, und noch nicht einmal Eva hat es bei ihrem Ausbruch vorhin geschafft, eine ihrer göttlichen Saucen darauf zu kleckern.« Sie nahm die Zeitschriften mit spitzen Fingern und legte sie auf den verbliebenen leeren Stuhl am Tisch. »Was suchen wir eigentlich?«, fragte sie mehr amüsiert als verärgert, während sie stirnrunzelnd die grauen Staubflecken auf ihrer sonst schneeweißen Hose betrachtete.
Larissa erzählte noch einmal, was der anonyme Anrufer und Lída Karafiátová ihr erzählt hatten.
»Okay«, sagte Magda und nahm eine der Zeitschriften zur Hand, »dann mal los. Cherchez la femme, mesdames !«
Meda Cyanovás Telefon klingelte. Ohne von der Akte, in der sie las aufzublicken, nahm sie ab und meldete sich mit Rang und Namen.
»Hier ist Božena Dvořáková, aus dem Archiv, Frau Inspektorin. Also, ich habe den ganzen August durchgesucht und vorsichtshalber auch den Juli und den September, aber ich habe keinen tödlichen Unfall gefunden, in den eine Dana Volná verwickelt gewesen wäre.«
»Was? Wie ist das möglich? Kann die Akte verloren gegangen sein?« Meda spürte ein Kribbeln in ihrer Magengegend.
»Kaum.« Die Stimme der Archivarin wurde eine Spur kühler. »Wie ich schon sagte, ich habe nie etwas weggeworfen, und ich bin seit bald vierzig Jahren hier.«
»Vielleicht während Sie im Urlaub waren?«
»Ich habe in dieser Zeit nur einen Tag Urlaub genommen. Das war vor neunundzwanzig Jahren, zur Beerdigung meines Mannes. Außerdem habe ich nach beiden Namen gesucht.«
Meda stutzte. Nach beiden Namen? Sie hatte der alten Archivarin doch nur den Auftrag gegeben, nach Dana Volná zu suchen. Wusste Frau Dvořáková etwa, wer noch in den Unfall verwickelt gewesen war?
»Wie haben Sie das eben gemeint, Sie hätten nach beiden Namen gesucht?«, fragte sie.
»Na, Sie haben doch nach Dana Volná gefragt, nicht? Nach der Schauspielerin?«
»Ja.«
»Na, ursprünglich hieß sie Navrátilová.«
»Dana Navrátilová? Woher wissen Sie das?«
»Ach, meine Nichte war damals auch auf dem Konservatorium, in ihrer Klasse, wissen Sie, sie hat es mir erzählt. Offenbar hat ihr der Name besser gefallen. Manche Schauspieler legen sich doch einen Künstlernamen zu. Na, wie gesagt, ich habe also nach beiden Namen gesucht und nichts gefunden. – Wenn Sie mich fragen, diesen Unfall hat es nie gegeben – oder aber der Unfall fand im Ausland statt, denn dass Dana Volná tot ist, steht ja außer Zweifel«, fügte sie entschieden hinzu. »Wenn Sie noch etwas brauchen, sagen Sie
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