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Nasses Grab

Nasses Grab

Titel: Nasses Grab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helena Reich
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Alena verließ still das Lokal. Sie wusste, dass sie nicht wiederkommen würde.
    Gott, die Welt war wirklich ein Dorf! Sie hätte sich denken können, dass man sie unter Tschechen wiedererkennen würde. Alena beschloss auf ihrem Weg nach Hause, ihre Zelte in New York abzubrechen. Schade, New York gefiel ihr. Eine herrlich anonyme Stadt. Jetzt nicht mehr. Wie weit weg war weit genug?
    Eine Woche später war sie in San Francisco und begann ihr neues Leben in einer neuen Stadt. Von nun an war sie Alena Freeman, Tochter tschechischer Einwanderer von 1948. Ein neuer Name und eine neue Identität. Glücklicherweise war das in Amerika kein Problem.
    Und nun war sie zurück in Prag. Welcher Teufel hatte sie geritten, nach mehr als zwanzig Jahren zurückzukehren? Sie war sich nicht sicher. Die Sentimentalität des Alters? Das Bier? Sie lächelte. Prag war ein gefährliches Pflaster, was die Wahrung ihrer Identität betraf.
    Noch hatte sie in den paar Monaten, die sie nun in der Stadt lebte, niemand erkannt. Jedenfalls hatte sie noch niemand auf eine Ähnlichkeit mit Lenka Svobodová angesprochen. Ihre alte Freundin Lída Karafiátová hatte sie zwar ein- oder zweimal auf der einen oder anderen Vernissage gesehen, aber Alena war ihr immer gekonnt aus dem Weg gegangen. Andererseits sahen die Leute in der Regel nur das, was sie erwarteten. Und was die Ähnlichkeit anging – die war relativ. Sie erinnerte sich an den einen oder anderen, den sie selbst nicht erkannt hätte nach all den Jahren, wenn sie nicht den Namen gehört hätte. Die Leute veränderten sich mit der Zeit. – Ja, viele veränderten sich, aber der gestrige Abend hatte ihr einen gehörigen Schreck eingejagt.
    Sie dachte wieder über das Gespräch mit Larissa nach. Die junge Reporterin war also mithilfe der Gerichtsmedizinerin und dieses Engels von einem Polizisten über die Identität der Mumie gestolpert. Wie lange dauerte wohl die DNA-Analyse, von der Larissa gesprochen hatte? War es überhaupt möglich, so eine Analyse an einer mumifizierten Leiche vorzunehmen? Sie wusste darauf keine Antwort. Sie könnte Magda Axamit anrufen und nachfragen. Magda, die – wie Larissa erzählt hatte – in Dana Volná ihre Tante erkannt hatte. Sie dachte an den gestrigen Opernabend. Das Kleid. Sie hatte vor Schreck ihr Glas fallen lassen. Dass ihr diese Ähnlichkeit nicht zuvor schon aufgefallen war. Nein, sie würde nicht fragen. Sie hatte schließlich kein professionelles Interesse an dem Fall. Und niemand wusste, wer sie wirklich war. Außer – nein, das bildete sie sich bestimmt nur ein. Und doch, in diesen dunklen Augen, die sie über den Raum hinweg angestarrt hatten, hatte so etwas wie Erkennen aufgeblitzt. Und Angst. Aber vielleicht hatte der Blick gar nicht ihr gegolten. Wenn sie nur wüsste …
    Sie nahm in Gedanken versunken ein Kartendeck aus ihrem Schreibtisch und begann, sorgfältig ein Kartenhaus auf ihrem Schreibtisch aufzubauen. Ihre Hände zitterten. Sie brauchte drei Anläufe, bis die unterste Reihe stand.
    Vielleicht, überlegte sie, war gar kein DNA-Vergleich möglich. Und wenn doch? Dann warf das Fragen auf. Viele Fragen, die, so fand sie, weit besser unbeantwortet blieben.
    Es war alles so lange her. Wem würde es heute nützen, zu erfahren, was genau damals passiert war? Nach so vielen Jahren einen Mörder zu fassen, war sicher nahezu unmöglich.
    Damals, vor fünfundzwanzig Jahren, hatte sie alles hinter sich gelassen, alle Brücken hinter sich abgebrochen, alles getan, was nötig war, um sich eine neue Identität und ein neues Leben zu verschaffen. Sie wollte nicht, dass jetzt irgendjemand damit anfing, in ihrer Vergangenheit herumzuwühlen. Verdammt, dieses vermaledeite Hochwasser hatte ihren schönen Plan verdorben! Vielleicht konnte sie die Sache noch retten. Aber um welchen Preis?
    Alena setzte die letzten Karten auf ihr filigranes Bauwerk. Ihre Hände hatten aufgehört zu zittern. Kartenhäuser zu bauen, hatte immer eine beruhigende Wirkung auf sie gehabt. Schon als sie noch ein Kind gewesen war. Es zwang zu Ruhe und Konzentration. Wo die anderen aus jener Zeit wohl steckten? Sie hatte nie mehr einen Gedanken an ihre Prager Freunde verschwendet – aus den Augen, aus dem Sinn.
    Was wohl aus dem cholerischen und krankhaft eifersüchtigen Venca geworden war? Ob sein Vater ihm die ersehnte Karriere ermöglicht hatte? Alena zweifelte nicht daran. Wahrscheinlich war er von Malta aus in die USA gegangen – oder sonst wohin. Es interessierte sie

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