Nasses Grab
nicht mehr. Und Honza, dieser elende Verräter? Einen kurzen Moment flammte die alte Wut auf ihn wieder in ihr auf. Dieser Dreckskerl! Er war damals nicht gekommen. Irgendwann hatte sie gehört, er sei abgehauen. Ziemlich spektakulär dazu – wie nicht anders zu erwarten. Und nun hatte es ihn auch wieder an die Moldau verschlagen. Was für ein unglücklicher Zufall, dachte sie schmunzelnd.
Sie fegte das Kartenhaus mit einer schnellen Bewegung vom Tisch. Die Karten flatterten durch die Luft, schwebten zu Boden und verteilten sich in ihrem kleinen Büro.
Einen hatte sie noch vergessen: Larissas anonymen Anrufer. Früher oder später würde die Polizei – oder Larissa – ihn finden. Sie könnte ihnen helfen. Es gab, nach reiflicher Überlegung, nur einen Mann, der angerufen haben konnte. Aber warum? Ohne seinen Anruf wäre niemand auf die Idee gekommen, in der Mumie aus der Metro Dana Volná zu vermuten. Die Mumie wäre eine namenlose Leiche geblieben. Warum hatte er es getan? Sie hatte ihn ein paarmal im RFE-Gebaübe gesehen. Ob er sie erkannt hatte? Wohl kaum, dachte sie, sonst hätte er sicher etwas gesagt. Was wusste er von dem Abend vor fünfundzwanzig Jahren? Hatte er mehr gesehen, als er Larissa gesagt hatte? Was hatte er sich zusammengereimt? Was hatte er vor? Wusste er, wer den Mord auf dem Gewissen hatte? Einer der üblichen Verdächtigen, dachte Alena grimmig, während sie die Karten auf dem Boden ihres Büros betrachtete. Freunde und Geliebte. Allesamt Feinde und Verräter.
Larissa saß in der Redaktion und blätterte in alten Zeitschriften. Sie betrachtete ein Foto, das Lenka Svobodová zeigte. Eine hübsche junge Frau mit langem blonden Haar und einem ironischen Zug um den schön geschwungenen Mund. Ein bemerkenswerter Mund, den das Lächeln der Venus zierte. Sie hielt einem jungen Mann die Hand hin, der sich zum Handkuss darüberbeugte. Ihre linke Hand lag, als sei ihr die altmodische Geste des jungen Mannes ein wenig peinlich, auf ihrem Dekolleté, und darauf war zwischen Handgelenk und Handrücken ein dunkelbrauner Fleck in der Größe einer Zehnkronenmünze zu sehen. Ein Muttermal vermutlich, dachte Larissa, zum Glück hatte Lenka es nicht im Gesicht gehabt. Da wäre aus der Schauspielerei wohl nichts geworden. Irgendetwas rührte sich plötzlich in ihrem Gedächtnis. Sie versuchte, den Gedanken an die Oberfläche zu ziehen, doch er verschwand in den Tiefen ihres Unterbewusstseins.
Es hat keinen Sinn, ihn zu zwingen, dachte sie, der Gedanke würde wiederkommen, wenn sie nicht krampfhaft versuchte, ihn zu fassen. Aber es irritierte sie doch. Irgendetwas war da. Etwas, das sie gesehen oder gehört hatte und an das sie sich angesichts des Fotos in der Zeitschrift erinnerte. Die Ahnung eines Gedankens. In welchem Labyrinth ihres Gedächtnisses flatterte er? Sie betrachtete das Foto erneut. Sinnlos. Er war weg.
Eine verrückte Geschichte, dachte sie. Die Mumie war also offenbar Dana Volná. Sie hatte vergessen zu fragen, wie lange die DNA-Analyse dauern würde. Nun, sie würde warten müssen. Larissa wollte Magda nicht auf die Nerven fallen. Sie konnte ja heute Abend bei ihr anrufen. Oder im Ráj vorbeischauen. Sie wollte irgendetwas unternehmen. Aber was? Ihre Aufregung nach der Besprechung mit dem Staatsanwalt war so groß gewesen, dass sie umgehend Alena Freeman angerufen hatte. Die Redakteurin hatte höflich zugehört und Larissa eher halbherzig ermuntert, am Ball zu bleiben. Mit weit mehr Nachdruck hatte sie Larissa gewarnt, sich bei der Suche nach dem Mörder zu weit aus dem Fenster zu lehnen.
»Da läuft wahrscheinlich ein erfolgreicher Mörder frei herum – versuchen Sie lieber nicht, ihm ins Handwerk zu pfuschen, meine Liebe.«
»Das hat der Kommissar mir auch schon gesagt«, hatte Larissa fröhlich erwidert. » ›Curiosity killed the cat‹ , meinte er.«
»Ein kluger Mann, Larissa. Hören Sie auf ihn!« Alenas Worte hatten eigentümlich ernst geklungen. Eindringlich. Mit einem seltsamen Unterton. Ach was, dachte Larissa, wahrscheinlich macht sie sich nur Sorgen um mich. Alena selbst schien an der Mörderjagd nicht weiter interessiert zu sein. Wahrscheinlich hatte sie auch so genug zu tun. Sie hatte einen kleinen Skandal im Parlament erwähnt. Aber konnte etwas spannender sein als diese verrückte Sache mit der Mumie? Insbesondere die Parlamentsberichterstattung fand Larissa langweilig. Nun, die Geschmäcker waren verschieden. Sollte Alena sich um das Parlament kümmern. Sie
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