Nasses Grab
selbst würde an der Mumie dranbleiben. An Dana Volná. Bestimmt würden Magdas Tests die Vermutung bestätigen, dass es sich bei der Mumie um die Überreste der Volná handelte. Fehlte nur noch der Mörder. Und, nicht zu vergessen, ein Motiv. Sie blätterte gedankenverloren in der Zeitschrift.
Wer hatte Dana Volná so sehr gehasst, dass er sie auf so grässliche Art umgebracht hatte? Aber war das Motiv tatsächlich Hass? Vielleicht war es Eifersucht? Liebe? Geld? Spionage? Viele Möglichkeiten. Warum schlägt ein Mensch einem anderen das Gesicht ein, fragte sich Larissa zum hundertsten Mal. Aus Hass. Die naheliegendste Antwort. Ein Hass so groß, dass man das Gesicht des anderen buchstäblich auslöschen will. Aber irgendwie wollte diese Erklärung nicht so recht zum Rest der Geschichte passen, fand sie. Das Verstecken und Präparieren der Leiche sprachen von leidenschaftsloser, kalter Rationalität. Von Überlegung, Kalkül. Wie mochte einer ticken, der einerseits so leidenschaftlich war, um so einen Hass zu empfinden, und der andererseits so kalt und überlegt vorgehen konnte, um eine Leiche zu beseitigen? Wer weiß, dachte sie, vielleicht ist das bei Mördern normal. Was wusste sie schon von Mördern? Nichts. Aber dieser hier machte auf sie einen eigenartigen Eindruck.
Sie musste noch einmal mit Lída Karafiátová sprechen, und dann sollte sie versuchen, diesen Typen zu finden, der sie angerufen hatte. Er musste die Volná gekannt haben. Ein Nachbar, wie der Staatsanwalt vermutet hatte? Wahrscheinlich. Möglicherweise kannte ihn Lída Karafiátová. Vielleicht gelang es ihr auch, Lenka Svobodová zu finden. Sie könnte bei der Österreichischen Botschaft anfangen. Larissa nahm ihren Notizblock aus ihrer Handtasche und notierte eine Aufgabenliste: Lída anrufen wegen anonymem Anrufer; Österreichische Botschaft wegen Lenka Svobodová. Sie legte den Stift beiseite und griff nach dem Telefon auf ihrem Schreibtisch. Lída Karafiátová meldete sich nach dem zweiten Klingeln. Larissa fragte nach den Nachbarn. Die Sängerin nannte auf Anhieb ein paar Namen und lieferte, munter sprudelnd, kurze Lebensläufe dazu. Als Larissa wieder aufgelegt hatte, standen auf ihrem Notizblock fünf Namen. Drei davon hatte sie schon während des Gesprächs wieder durchgestrichen. Nachdem sie kurz überlegt hatte, zog sie auch durch den vierten einen dicken Strich. Blieb einer übrig. Wie klein doch die Welt war: Um den Mann zu sprechen, brauchte sie nur drei Türen weiterzugehen. Falls er heute arbeitete.
Sie stand auf. Ihr Blick fiel aus dem Fenster in den tristen Hinterhof. Sie zögerte. Der Gedanke von vorhin. An was hatte das Foto sie erinnert? Das Foto von Lenka Svobodová. Irgendetwas an diesem Bild war wichtig gewesen, da war sie sich sicher. Sie blätterte zurück und betrachtete es nachdenklich. Nein, es wollte ihr nicht einfallen. Sie nahm entschlossen die Seite in die Hand und riss sie heraus.
Kommissar David Anděl stand in dem kleinen Pförtnerhäuschen der Olschanner Friedhöfe und beobachtete die alte Frau, die ein schweres Buch von einem deckenhohen Regal nahm. Sie trug es zum Tresen, schlug es auf und blätterte flink, bis sie die gesuchte Seite gefunden hatte.
»Hier, sehen Sie, Herr Kommissar«, sagte sie und deutete auf einen Eintrag, »hier steht es. Dana Volná, geboren am 6. August 1942, gestorben am 14. August 1977, die arme Seele. Nur eine Woche nach ihrem Geburtstag. Beerdigt wurde sie am 30. September 1977.«
Das hat aber gedauert, dachte Anděl. »Wer hat die Beerdigung veranlasst?«, fragte er.
»Hier, ein Václav ˇerný, wohnhaft in der Žatecká-Straße 8, das ist in der Josefsstadt.«
»Ein Verwandter?«
Die alte Frau runzelte die Stirn. »Er sagte, Dana Volná sei seine Cousine gewesen.« Sie sah ihn unsicher an.
»Sie haben ihm das nicht geglaubt? Er hatte Ihnen doch sicher die nötigen Dokumente für eine Beerdigung vorgelegt?«
Die Frau seufzte. »Sehen Sie, Herr Kommissar, es war alles ein bisschen irregulär, wenn Sie verstehen, was ich meine.«
David Anděl schwieg und wartete. Man konnte ihm sicher den einen oder anderen Fehler ankreiden, Ungeduld gehörte nicht dazu. Er lächelte die alte Dame aufmunternd an. Die Frau rang offensichtlich mit sich, unschlüssig, ob sie die ganze Wahrheit ausgerechnet einem Polizisten erzählen sollte. Was auch immer die ganze Wahrheit sein mochte. Schließlich seufzte sie resigniert und entschied sich zu sprechen.
»Ach was, es ist schon eine
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