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Natalia, ein Mädchen aus der Taiga

Natalia, ein Mädchen aus der Taiga

Titel: Natalia, ein Mädchen aus der Taiga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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sogar ein Aktenregal war vorhanden, gefüllt mit Aktenordnern – aber die Ordner waren leer. Wer sollte schon nach Satowka schreiben, und wer schrieb aus Satowka nach Batkit? Zweimal im Monat brachte der Briefbote Schulungsmaterial von der Partei mit. Petrow gab es dem Popen, der es mit gerunzelter Stirn las und hinterher mit seiner tiefen Stimme feststellte: »Das ist nicht nötig zum Leben!« Er gab somit die Propaganda frei, damit man sie in den Öfen zum Feuermachen verheizte.
    Immerhin, es machte sich gut, Besuche wie diesen im Büro zu empfangen. Petrow war zufällig dort, nicht weil er gerade für die Partei zu arbeiten hatte, sondern weil seine Katze im Büro gejungt hatte und vier entzückende Kätzchen im Stroh herumkrabbelten. Petrow hatte übrigens das Amt des Dorfsowjets nur übernommen, weil die Bauern zu ihm sagten: »Jakow Michailowitsch, du hörst, einer muß den Parteikram machen! Du bist der richtige Mann. Du schielst, und keiner kann in deinen Augen lesen, was du denkst! Das ist wichtig bei Verhandlungen!«
    Also – Kassugai traf Satowkas Oberhaupt an, wie er vor einer Kiste kniete und »Ein liebes, braves Herzchen bist du!« zu der fauchenden Katze sagte. Kassugai hatte an die Tür geklopft, aber da Petrow sich nicht rührte – er war nämlich auch noch schwerhörig – trat der Besucher ein und schlug mit der Faust gegen die Holzwand. Es dröhnte dumpf, und das fiel Petrow auf. Er hob den Kopf, sah Kassugai und seinen Begleiter, der ihm gefolgt war, und erhob sich von der Katzenkiste.
    »Besuch!« schrie er, wie alle Schwerhörigen schreien, um sich selbst hören zu können. »Was ist los auf der Welt? Ein Verkehr ist hier wie auf dem Roten Platz in Moskau! Lauter Fremde! Seid willkommen, Genossen!«
    »Fremde, sagten Sie?« Kassugai stieß seinen Fahrer Nikolai in die Seite. »Hier sind Fremde durchgekommen?«
    Petrow reckte seinen Kopf vor und legte die rechte Hand ans Ohr. »Ha?« fragte er. »Genosse, warum flüstern Sie?«
    »Wo ist die Fremde?« brüllte nun Kassugai.
    »Sie bohren nach Erdgas …«
    »Wir haben einen Idioten erwischt!« sagte Kassugai laut zu Nikolai. »Aber sie ist hier! Ich spüre es! Ihr Vorsprung ist zu gering, und sie hat nicht die Kräfte eines Bären!«
    Wenn Petrow auch nur wenig verstand, ein Wort hatte er gehört: Idiot! Ein bekanntes Wort, aber es ist ein Unterschied, ob es seine Freunde in Satowka sagten oder ein völlig Fremder. Wenn ein guter Freund zu ihm sagte: »Jakow Michailowitsch, mein kleiner Idiot, das siehst du alles falsch, das kommt davon, daß sich deine Blicke kreuzen und sich gegenseitig im Weg stehen …«, dann klang das beinahe zärtlich. Brüllte aber jemand »Idiot!«, dann hatte man die Berechtigung, beleidigt zu sein.
    Petrow war im Grunde ein gutmütiger Mensch. Wer mit einer Katze, die eben gejungt hatte, so zärtlich spricht, muß es sein. Aber wenn man ihn reizte, wurde er ein Wolf. Kassugai traute seinen Augen nicht, als der Alte plötzlich hinter den alten Schreibtisch sprang, eine Schublade aufriß und – als sei es Zauberei – blitzschnell eine Armeepistole in seiner Hand lag.
    »Das hier ist das Parteihaus von Satowka!« brüllte Petrow. »Das Maul gehalten, sage ich! An die Wand! Kommt der Kerl hier herein und beleidigt mich! Mich, den Dorf Sowjet Jakow Michailowitsch Petrow! Oh, wir haben sie gern, die feinen Herrchen aus der Stadt! Immer hochnäsig, immer den Kopf im Nacken, als seien wir alle nur ein Dreck! Eine Untersuchung werde ich anstellen, woher ihr kommt! Ihr werdet wohl gesucht in der Stadt und wollt euch in der Taiga verkriechen? Gauner, was? Betrüger! Geldfälscher! Mörder vielleicht! Aber jetzt sitzt ihr in der Falle! Wer sich rührt, dem schieße ich ein Loch in den Bauch!«
    Er ging rückwärts zum Fenster, stieß es mit dem Ellenbogen auf und drehte den Kopf etwas nach hinten. »Alarm!« brüllte er in die mittägliche Stille. »Genossen, zum Parteihaus! Zwei Halunken sind hier!«
    Aber es kam niemand, außer dem Idioten Jefim Aronowitsch, der die beiden Besucher angrinste, schmatzte und abwartend stehenblieb. Das Dorf lag still unter einem blauen, wolkenlosen Himmel. Petrows Gebrüll hörte man zwar, aber es war gerade Essenszeit, und so wichtig ist in Satowka nichts, als daß man seinen vollen Teller stehenließe.
    »Noch ein Idiot!« murmelte Nikolai gepreßt. »Rostislaw Alimowitsch, wohin sind wir geraten!«
    »Hören Sie«, rief Kassugai Petrow zu. »Sie jagen einem Irrtum nach. Sie haben falsch

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