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Natalia, ein Mädchen aus der Taiga

Natalia, ein Mädchen aus der Taiga

Titel: Natalia, ein Mädchen aus der Taiga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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irgendwann einmal dort anzukommen, wo man unbehelligt weiterleben konnte?
    Michail preßte die Hände gegen seine Brust. Sein Herz begann zu schmerzen. Es hat keinen Sinn, darüber zu grübeln, man kann sie nicht zurückhalten, mit Worten nicht und mit Gewalt schon gar nicht. Sie ist ein freier Mensch, und sie liebt mich nicht. Das war es! Warum auch sollte sie mich lieben? Wieso habe ich es als selbstverständlich angenommen, daß eine Natalia Nikolajewna sich aufgibt, nur weil ein Ingenieur Tassburg winkt? Woher dieser Glauben? Die früheren Erfolge bei Frauen? Man ist verwöhnt worden, oft ist man weggetragen worden von streichelnden Händen und sich öffnenden Lippen. So müßte es immer sein – das denkt man! Michail Sofronowitsch, sei dankbar für die Ohrfeige, die dir Natalia gegeben hat!
    Michail schreckte hoch, als er hinter sich die Tür leise knarren hörte. Jetzt geht sie, durchfuhr es ihn eisig. Jetzt schleicht sie sich aus dem Haus, und ich sehe sie nie wieder. Nie mehr!
    Er hob den Kopf.
    Es war tatsächlich Natalia, aber sie war nicht reisefertig, sondern hatte Tassburgs alten Bademantel an, ein altes, blauweiß gestreiftes Frotteeding, das schon mehrfach gestopft war. Sie setzte sich neben Michail auf die Bank und beugte sich über ihn. Ihr Haar fiel über seine Wange. Er griff danach, hielt die Haare fest und streichelte sie.
    »Es ist hart auf der Bank, nicht wahr?« fragte Natalia.
    »Man gewöhnt sich daran.«
    »Warum schläfst du noch nicht?«
    »Ich habe gewartet, daß du dich davonschleichst.«
    »Und was hättest du dann getan?«
    »Ich hätte den Schlafenden gespielt.«
    »Du hättest nichts gesagt und mich nicht festgehalten?«
    »Nein!«
    »So böse bist du auf mich?«
    »Man muß einen Irrtum einsehen und ertragen können.«
    »Du Mann!« sagte sie leise. Ihre Hand strich über sein Gesicht. »Du dummer Mann! Hat ein Bett und schläft auf einer harten Bank! Komm …«
    »Natalia …« Er rührte sich nicht. Er war wie gelähmt unter ihren streichelnden Händen.
    Sie lachte leise. »Was habe ich davon, wenn ich morgen deine Muskeln massieren muß, damit du wieder laufen kannst? Komm in dein Bett …«
    Michail stand auf. Natalia faßte ihn wie ein Kind bei der Hand und ging mit ihm ins Nebenzimmer. Als sie sich auf das Bett legte und zur Seite rückte, blieb er stehen und sah sie nur an.
    »Es ist Platz genug«, sagte sie. »Ich mache mich ganz schmal. Du wirst mich kaum spüren.«
    Er legte sich neben sie, und es war wirklich viel Platz zwischen ihnen, er berührte sie nicht einmal. Er hörte nur ihre schwebende Stimme in der Dunkelheit: »Ist es gut so, Michail?«
    »Ja …« Seine Kehle war wie zugeschnürt.
    »Versprichst du mir, mich nicht anzufassen? So anzufassen, wie … Du weißt es schon.«
    »Ich verspreche es dir, Natalia.«
    »Darf ich den Kopf an deine Schulter legen?«
    »Ja …« Er bekam kaum noch einen Ton heraus.
    Sie rückte zu ihm, und er lag ganz still, fast wie versteinert, und wagte kaum zu atmen.
    »Jetzt lege ich den Arm über deine Brust«, sagte sie nach einer Weile des Schweigens. »Ich kann so besser liegen.«
    Sie tat es und lag jetzt beinahe auf ihm wie ein warmes, leichtes, die Nähe eines Menschen suchendes Kätzchen. Ein Tier, das nur geborgen sein will – die Sehnsucht nach einer sicheren Höhle.
    Wieviel Minuten vergingen? Oder waren es Stunden? Was sind Zeitbegriffe in einer solchen Nacht?
    Ganz leise sagte Natalia plötzlich: »Schläfst du, Michail?«
    »Nein«, antwortete er ebenso leise. »Ich kann nicht, weil das Glück mich wachhält …«
    »Mich auch«, sagte sie. »Es ist schön, glücklich zu sein …«
    Wie am vergangenen Morgen, so wachte Tassburg auch diesmal auf, weil er das Klappern von Geschirr hörte. Im Kessel über dem Feuer brodelte das Teewasser, außerdem roch es köstlich nach frischen Blinis.
    Blinis sind etwas Wundervolles! Überall sonst nennt man sie profan Eierkuchen, Pfannkuchen oder Schmarren; russische Blinis aber sind mit nichts zu vergleichen. Genausowenig, wie man eine ukrainische Borschtschsuppe nachahmen kann oder Smolensker Piroggen. Blinis sind wohl Pfannkuchen, aber was für welche!
    Natalia hatte sie mit eingeweckten Pilzen gefüllt – ein Geschenk der Bauern, das Tassburg hereingeholt hatte. Und nun lagen diese Köstlichkeiten auf einem Blechteller. Der Tisch war mit einem weißen Handtuch gedeckt, sogar zwei große Sonnenblumen, die an der Rückseite des Hauses wuchsen, standen in einem

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