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Natalia, ein Mädchen aus der Taiga

Natalia, ein Mädchen aus der Taiga

Titel: Natalia, ein Mädchen aus der Taiga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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sagte Tigran ergriffen. »Der letzte Beweis! Er schläft inmitten einer Feuerlohe! Dank des geweihten Gegenmittels, das ich ihm gab. Haben Sie sich damit eingerieben, Michail Sofronowitsch?«
    »Mit dem Hostienbrei? Nein, ich habe ihn neben mein Bett gestellt.«
    »Das hat genügt! Halleluja! Trotzdem sollten Sie ausziehen, Genosse. Wenn wir jede Nacht solch einen Krach im Dorf haben …«
    »Ich bleibe!« sagte Tassburg laut und deutlich. »Und jetzt esse ich meine Blinis. In einer halben Stunde marschieren wir ab, Grigori.«
    Der Vorarbeiter nickte, sprang auf und ging zu dem auf der Straße wartenden Geländewagen.
    »Blinis!« sagte Tigran versonnen. »Ich liebe Blinis …«
    »Darf ich Sie einladen, Tigran Rassulowitsch?«
    Der Pope hob beide Hände. »In dieses Haus? Nie und nimmer! Und wenn Sie die Blinis mit Kaviar füllen! Aber wenn Sie sie mir hinausbringen, esse ich sie sehr gern …«
    Pünktlich nach einer halben Stunde fuhr Tassburg wieder in die Taiga, wo man nach Erdgas bohren wollte. Der Pope saß bei der Witwe Anastasia am Tisch und kaute vergnügt an seinen Blinis. »Sie sind besser als die deinigen, Anastasia«, sagte er. »Ein guter Koch, der Genosse Ingenieur!«
    »Wenn ihm der Satan dabei hilft!« versetzte die Witwe bissig.
    Tigran verschluckte sich und hustete heftig. »Das hättest du nicht sagen dürfen! Bedenke: Im Magen eines Priesters ist alles geweiht! Auch was der Teufel kocht. Es schmeckt vorzüglich!«

V
    Vier Tage und vier Nächte verflogen mit Arbeit, Ruhe und glücklichem Schlaf.
    Wie gewohnt, schliefen Michail und Natalia zusammen in dem großen Bett. Natalia legte ihren Kopf an seine Schulter, schob den Arm über die Brust, und er hielt sein Versprechen. Nur wenn er glaubte, Natalia schliefe fest, küßte er ihre geschlossenen Augen und ihren leicht geöffneten Mund und flüsterte ihr Zärtlichkeiten zu. Manchmal hatte er dabei das Gefühl, sie spiele nur eine Schlafende und höre ihm in Wirklichkeit zu, ließ sich küssen und genoß seine stille Liebe. Aber wie es auch sein mochte, sie waren glücklich miteinander und wuchsen in diesen vier Tagen und Nächten zusammen, ohne daß sie es sich gegenseitig eingestanden.
    Inzwischen fühlte sich auch Natalia sicher in dem angeblichen Spukhaus. Keiner der Leute von Satowka wagte sich ihm auf mehr als zehn Schritt zu nähern. Die meisten machten einen großen Bogen darum und schlugen ein Kreuz, wenn sie in sicherer Entfernung vorübergingen. Und allen erschien es wie ein Wunder, daß Michail Sofronowitsch unbeschadet darin lebte und jeden Morgen fröhlich zur Arbeit fuhr. Der Feuerzauber hatte sich nicht wiederholt …
    Am fünften Tag – Tassburg war wieder in der Taiga und hatte Natalia gesagt, daß er wegen der weiten Entfernung an diesem Abend nicht zurückkäme, sondern im Wald übernachten müßte –, am fünften Tag änderte sich alles.
    Ein Auto, ein alter klappriger Wolga, fuhr durch Satowka und hielt vor dem Haus des Dorfsowjets. Ein mittelgroßer schlanker Mann mit bleichem Gesicht und einem hängenden Tatarenbart stieg aus, sah sich um und sagte zu seinem Begleiter, der den Wagen steuerte: »Wir werden es gleich erfahren, Nikolai! Sie ist kein Vogel und kein Windhund. Sie muß hier Station gemacht haben!«
    Rostislaw Alimowitsch Kassugai war gekommen.
    Nun gab es in Satowka keine Ruhe mehr. Etwas Besonderes mußte in der Welt los sein, wenn sich gleich hintereinander so viele Fremde in die Urwälder nördlich der Steinigen Tunguska verirren. Erst waren die Geologen mit dem Bohrtrupp in das einsame Dorf gekommen und nun sogar ein Wagen aus der Stadt mit zwei Männern, die geradezu elegant aussahen in ihren Anzügen, den Halbschuhen und den Rollkragenpullovern, die sie trugen, weil allmählich der Herbst Einzug hielt.
    Man roch ihn, wie die Bauern sagen. Es ist, als ob die Erde noch einmal aufatmet, noch einmal tief Luft holt, um genug Kraft zu haben, den langen, eisigen Winter zu überleben. Die Laubbäume zeigen ein Fest der Farben, und es gibt Bäume – ich übertreibe nicht, Freunde! – mit solch herrlich roten Blättern, daß sie, vom Wind bewegt, aussehen, als glühten sie von innen heraus.
    Der Dorfsowjet von Satowka, der Genosse Jakow Michailowitsch Petrow, empfing die neuen Besucher in seinem Büro. Der Ausdruck Büro ist allerdings etwas übertrieben. Zwar gab es einen uralten Schreibtisch darin, Parteieigentum der Gruppe Batkit, an der Wand hing Lenin über einer kleinen roten Fahne mit Hammer und Sichel,

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