Natalia, ein Mädchen aus der Taiga
du sollst es sehen: Hupp, sind die Flöhchen und die Läuse weg! Sie schrumpeln zusammen, fallen ab und ersticken elend. Sind wir ein Kulturvolk oder nicht?
Am Nachmittag kamen die Frauen dran. Gasisulin mußte seinen Platz verlassen, denn so ganz geschlechtslos war er nun auch wieder nicht. Eine dicke Person, die Hebamme Rimma, kommandierte nun in der Banja. Sie rieb den Weiberchen mit einer Spezialseife die langen Haare ein und lief mit einer großen Klistierspritze herum. Sie war mit schwacher Seifenlauge gefüllt, und Rimma pries sie an wie rotgelben grusinischen Wein:
»Da kann der gute Dr. Plachunin so tief gucken wie er will … jedes Winkelchen blase ich euch sauber! Er wird begeistert sein! So viele saubere Frauen! Nur ran, Schwestern, nur ran, bückt euch. Es geht ganz schnell und erzeugt zudem ein wohliges Gefühl …«
Leider hatte Rimma wenig Erfolg mit ihrer Klistierspritze. Nur drei alte Weiblein unterzogen sich der Prozedur, quiekten dabei wie kleine Ferkel und hüpften dann durch den Wasserdampf, als habe man sie um etliche Jahrzehnte verjüngt.
Am Abend zog durch ganz Satowka ein sauberer Frieden.
Wer so gründlich gebadet hat, ist von vielen irdischen Problemen erlöst, zufrieden und menschlich, hat kein Interesse, seine Frau zu verprügeln oder nach dem Hund zu treten … Er sitzt herum, auch innerlich gesäubert, und findet die Welt schön.
Tigran Rassulowitsch ließ an der Vorderfront der Kirche eine Fahne hissen: weißer Grund, darauf die Maria, von Rosen umgeben.
Dr. Plachunin konnte kommen.
Und er kam. Es war am nächsten Tag gegen Mittag.
Ein Reiter, der als Vorposten den einzigen, schmalen Weg durch die Taiga, der nach Satowka führte, beobachtet hatte, sprengte wie sein Vorfahr, ein Kosak, durch das Dorf.
»Er kommt!« schrie er. »Er kommt! Es stimmt, er fährt einen amerikanischen Wagen! Er kommt!«
Tigran ließ die elende, blecherne Glocke läuten und schämte sich, wie sonntags immer, über die Armut seiner Gemeinde, der nicht einmal ein voller Glockenton vergönnt war. Er zog sein bestes Festgewand an, klemmte die Heilige Schrift unter den Arm und trat vor die Kirche – riesengroß, imponierend, mit gesträubtem Bart. Er war der einzige, der Dr. Plachunin kannte, weil er ihn einmal in Batkit konsultiert hatte.
Damals hatte der Doktor den Popen untersucht und ihm dann strikt den Alkohol verboten. Tigran hatte darauf nur »Der Teufel hole Sie!« gesagt, worauf Dr. Plachunin antwortete: »Sie zuerst! Sie mit Ihrer versoffenen Leber!« Im übrigen war die damalige Anweisung des Arztes unbefolgt geblieben.
Dr. Plachunin, zum erstenmal in Satowka, war froh, als er aus der Urwaldstraße heraus war und den weiten Kahlschlag erreicht hatte, auf dem Satowka gebaut war. Die Glocke schepperte ihm entgegen, und am Zaun des ersten Hauses stand eine Familie und verbeugte sich tief: Vater, Mutter, drei Kinder, Großmutter, Großvater, Urgroßmutter, Urgroßvater, Ururgroßmütterchen … Es war die Familie Jerofejew, dafür berüchtigt, anscheinend zum ewigen Leben verdammt zu sein. Gasisulin, der Sargmacher, besuchte sie einmal im Monat – die Alten flehend anblickend …
Jetzt hupte Dr. Plachunin laut, während er durch die einzige Straße von Satowka fuhr, und bremste vor der Kirche. Solange er im Jeep saß, strahlte er Autorität aus … Aber als er nun ausstieg, verblaßte einiges davon.
Wie Tigran gesagt hatte: Plachunin müßte schon uralt sein, so faltig war sein Gesicht. Aber das glich er aus durch einen forschen Gang und eine so laute Stimme, daß sich keiner gern auf eine Diskussion mit ihm einließ. Nach fünf Minuten war man heiser, denn es war auf die Dauer unmöglich, gegen ihn anzuschreien.
Was aber jeden erschreckte, war seine Körpergröße. Er war, bildlich gesprochen, ein Mittelmensch zwischen einem kleinen Erwachsenen und einem Liliputaner. Er lag genau dazwischen – er war nicht so klein, daß er im Zirkus hätte auftreten können, aber auch nicht so groß, um als normal gewachsener Mensch zu gelten. Seine Körpergröße entsprach ungefähr der eines zehnjährigen Kindes.
Die Tragik seiner äußeren Erscheinung wurde erst völlig deutlich, als Plachunin vor dem riesigen Popen stand … eine Maus, die zu einem Turm hinaufschaut. Aber eine Maus mit einer Löwenstimme.
»Du lebst noch?« donnerte Dr. Plachunin. »Bei deiner Säuferleber? Womit hast du Gott bestochen, daß er dich vergessen hat?«
Tigran Rassulowitsch grinste verlegen. Überall an der Straße
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