Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Natalia, ein Mädchen aus der Taiga

Natalia, ein Mädchen aus der Taiga

Titel: Natalia, ein Mädchen aus der Taiga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
Vom Netzwerk:
die Lunge ist, darf man nicht spaßen …«
    Tassburg drehte sich wütend um und ging ins Haus zurück. Mit einem dumpfen Knall fiel die schwere Tür hinter ihm zu. Dafür erschien am Küchenfenster von Anastasias Haus der Kopf des Popen Tigran. Er hatte, als er den Dialog im Garten vernahm, schnell das Bett der Witwe verlassen, seine Soutane übergeworfen und stand nun, wenigstens oben herum korrekt bekleidet, im Fensterrahmen wie ein Bild.
    »Was gibt es, mein Sohn?« fragte er. »Wozu der frühe Lärm? Ihr weckt mir Anastasia auf. Krank ist sie, die Gute! So schlapp, so schlapp …«
    »Das trifft sich gut! Ein Arzt kommt hierher.«
    »Ein Arzt?« Tigran schnaufte durch die Nase. »Wieso das?«
    »Wir haben ihn per Funk herbeigerufen.«
    »Aha! Und wo kommt er her?«
    »Aus Batkit.«
    »Der alte Dr. Plachunin? Ostap Germanowitsch?«
    »Ich kenne ihn nicht.«
    »Es gibt in Batkit nur einen Arzt, Dr. Plachunin! Er muß schon zu Zeiten Peters des Großen gelebt haben, so vertrocknet ist er. Und er kommt eigens wegen Michail Sofronowitsch her?«
    »Ja, in einem amerikanischen Jeep!«
    »Das sieht ihm ähnlich! Immer provozierend! Aber wenn er schon einmal in Satowka ist, soll er auch arbeiten!« Tigran Rassulowitsch strich sich über den langen schwarzen Bart. »Er wird das ganze Dorf untersuchen. Eine moderne Reihenuntersuchung – von der Kopfhaut bis zur Fußsohle – die hatten wir schon lange nicht! Wann hat man jemals wieder eine solche Gelegenheit dazu?«
    Es wurde ein turbulenter Tag.
    Tigran Rassulowitsch schickte zwei Boten durchs Dorf, um die Neuigkeit zu verkünden: den armen, jetzt zu allen Diensten bereiten Gasisulin, und Jefim, den Idioten.
    »Dr. Plachunin kommt!« ließen sie vom Popen ausrichten. »Alle werden untersucht, ohne Ausnahme! Wascht euch also nicht nur die Ohren, sondern nehmt ein ordentliches Bad. Dr. Plachunin blickt überall hinein, in jedes Loch des Körpers! Denkt daran! Blamiert Satowka nicht durch Schmutz. Dr. Plachunin wird morgen, spätestens übermorgen eintreffen …«
    Natürlich erregte diese Nachricht großes Aufsehen, und Jefim und Gasisulin waren noch gar nicht mit ihrem Botengang zu Ende, als schon die ersten Leute von Satowka bei Petrow im Büro erschienen und die Forderung stellten, die Dorfbanja zu heizen – und zwar schnell!
    Nicht, daß es jetzt darum ging, sich wirklich bis in den letzten Winkel zu säubern – man stellte auch Vermutungen an, ob Dr. Plachunin zum Beispiel bei den Weiberchen auch da sein Auge hinwarf, wo sonst nur der Ehemann ein bestimmtes Recht besitzt. War dem so, dann gab es eine ganze Reihe von Frauen, die sich sogar darauf freuten …
    In der Banja war es möglich, daß immer zehn Männer oder zehn Weiblein auf einmal im Dampf schwitzten, sich im kalten Holzkübel abschreckten und sich gegenseitig abbürsteten, um wirklich jede Falte blitzblank zu schrubben. Außerdem war eine Reihenuntersuchung Gemeindesache; es stand im Programm der Partei: Jeder Sowjetbürger hat Anspruch auf ärztliche Betreuung! Daß dazu eine allgemeine Vorwaschung gehörte, stand zwar nicht im Programm, wurde aber als selbstverständlich vorausgesetzt. Daher die Forderung der Leute.
    Petrow runzelte die Stirn. Er dachte an das viele Holz, das verbraucht werden würde.
    »Ein Vorschlag zur Güte!« sagte er und schielte jeden schrecklich an, der näher als einen Meter an den Parteischreibtisch herantrat. »Wenn jeder von euch einen Armvoll Holz mitbringt, besorgt die Gemeinde das Anheizen! Einverstanden?«
    Man mußte einverstanden sein, die Sache war zu eilig, um lange mit Petrow zu diskutieren. Zwar kam Dr. Plachunin frühestens morgen an, aber man hatte vor, sich bis dahin mindestens dreimal im Dampf und im Wasserkübel aufzuhalten, um wirklich alle Flecken von sich zu scheuern.
    Dr. Plachunin sollte ein Dorf vorfinden, so sauber, so frisch duftend wie ein gerade gewickeltes Baby. Auch in der Taiga an der Steinigen Tunguska ist man nicht hinterm Mond! Auch hier weiß man genau, was sich gehört!
    Gegen Mittag brannte der dicke, gemauerte Ofen in der Banja, zischten die ersten Dampfwolken und marschierten die ersten zehn Männer in markanter Nacktheit in den Schwitzraum.
    Gasisulin, das Männchen für alles, gab harte Wurzelbürsten aus und fragte jeden, ob er zusätzlich ein medizinisches Bad nehmen wolle. Medizinisch hieß in diesem Fall: Genosse, willst du dich entlausen lassen? Hast du Flöhe? Zier dich nicht … rein in den Kübel mit der stinkenden Lösung! Und

Weitere Kostenlose Bücher