Natalia, ein Mädchen aus der Taiga
sich überlegen …«
Die Überlegung nahm ihnen Jefim ab, dieser Erzhalunke, der das Lenkrad von Plachunins Auto schnell in seinen Schuppen getragen hatte. Jetzt hüpfte er über die Straße, klatschte in die Hände und machte auf sich aufmerksam.
»Wer ist das?« fragte der Arzt völlig unnötigerweise. Man sah ja, was mit Jefim los war.
»Unser Idiot, Doktorchen«, sagte Anastasia, die wieder genesen zu sein schien. »Ein harmloser Mensch!«
»Was will er?«
Dr. Plachunin sah mit Schrecken, daß der Pope Tigran tatsächlich das ganze Dorf mobilisiert hatte für die Reihenuntersuchung. Von allen Seiten pilgerten die Bauern, ihre Frauen und Kinder in Festkleidung zum Gemeindehaus und stellten sich dort in langer Reihe auf. Sogar ein paar Fahnen wehten, wie zur Osterprozession, denn es war ja ein Ereignis in Satowka, sich von oben bis unten untersuchen zu lassen. Und die Frauchen erst! An besonders empfindlichen Körperstellen hatten sie sich sogar mit Rosenöl eingesalbt, so viel Bedeutung maßen sie der Untersuchung durch Dr. Plachunin zu.
»Das Lenkrad ist weg!« schrie jetzt plötzlich Jefim, als er Dr. Plachunins ansichtig wurde. »Das ganze Lenkrad! Einfach geklaut! Wer stellt auch einen so schönen Wagen im Schatten der Kirche ab? Da wird am meisten geklaut!«
»Und das nennt ihr einen Idioten, Tigran?« rief Dr. Plachunin mit seiner Donnerstimme. »Das ist doch ein Weiser!« Erst dann begriff er, daß es sich um sein Lenkrad handelte. Er raufte sich die Haare, aber der Pope sagte sanft:
»Das haben Sie davon, Doktor! Sie waren zwei Schritte im Bannkreis des Hauses, und schon ist Ihr Lenkrad weg! So fängt es an, und mit durchschnittener Kehle hört es auf! Aber Akademiker sind ja die ungläubigsten Menschen auf Gottes Erde!«
Dr. Plachunin vergaß, weshalb er in Satowka war, und rannte zurück zur Kirche. Was Jefim gemeldet hatte, stimmte: Das Lenkrad war weg, und außerdem lag der Benzintankverschluß auf der Erde. Ahnungsvoll stieg Plachunin in seinen Wagen und startete den Motor. Es machte sehr traurig plopp-plopp, und dann war Stille. Der Doktor kletterte aus dem Wagen.
»Das Benzin ist auch geklaut!« schrie er. »Welch ein verfluchtes, von Dieben und Räubern besiedeltes Dorf! Was soll nun werden?«
»Gott weiß es«, antwortete Tigran, der ihm gefolgt war, fromm.
»Sie können mich kreuzweise …«, schrie der Arzt heiser vor Wut.
»Das werde ich nicht tun«, sagte Tigran, immer noch ehrfürchtig. »Auch nicht in Verbindung mit Kreuz …«
»Wie komme ich zurück nach Batkit?«
»Die nächste dringende Frage ist, scheint mir: Wie kommen Sie an den Genossen Michail Sofronowitsch Tassburg heran? Und dann die Reihenuntersuchung …«
»Ich werde jedem Ihrer Bauern einen Eßlöffel Rizinus geben!«
»Hervorragend! Schon Paracelsus sagte: ›Die Krankheit liegt im Darm!‹«
Dr. Plachunin starrte den Popen entgeistert an. »Woher kennen Sie Paracelsus?«
»Bin ich ein ungebildeter Mensch?« rief Tigran empört. »Die besten Geister dienen Gott! Ich habe, seit ich lesen kann, vierzig russische Winter hinter mir. Da kommt schon einiges an Wissen zusammen, wenn man jährlich sieben Monate lesen muß! Also, Doktor, was ist? Wo fangen wir an?«
»Natürlich bei meinem amtlichen Auftrag. Bei Tassburg! Gehen wir zurück zu Ihrem verdammten Haus. Hat mein Benzin auch die Gräfin Albina geklaut?«
»Fragt nicht nach dem Unbegreiflichen!« zitierte Tigran.
»Wer das geschrieben hat, damit Sie es wissen, war einer Hirnamputation wert! Gehen wir! Um mein Auto kümmere ich mich später.«
Sie kehrten wieder zu Anastasias Spukhaus zurück und blieben im Vorgarten stehen. Dr. Plachunin zögerte, weiterzugehen. Verdammt, man war eben Russe …
»Genosse Tassburg!« brüllte der kleine Arzt plötzlich, und zwar mit solch lauter Stimme, daß selbst der riesige Tigran zusammenzuckte. »Michail Sofronowitsch, kommen Sie heraus, wenn Sie es noch hören können. Ich habe den amtlichen Auftrag, Sie wieder auf die Beine zu bringen! Ich habe alle Medikamente mit, hören Sie mich?«
Es blieb still. So still wie vor einem Unwetter, wo selbst der Wind den Atem anhält und die Bäume der Taiga von keinem Hauch bewegt werden.
Kommt Antwort aus dem ›Leeren Haus‹? Oder ist der Genosse Tassburg schon gestorben? Wie sah er aber auch aus! So einer kann nicht mehr lange leben! Hatte ja nicht einmal mehr die Kraft, aufrecht zu stehen. Mußte sich am Türpfosten festklammern – ein Bild des Jammers …
Und da
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