Natalia, ein Mädchen aus der Taiga
Sie, mein geniales Väterchen, ob in Satowka noch etwas für mich zu tun ist.«
»Ihre verdammte Reihenuntersuchung ist abgeschlossen – was wollen Sie noch mehr anrichten? Nehmen Sie Natalia mit?«
»Ich glaube nicht, daß es Michail Sofronowitsch gelingt, sie bis morgen zu überreden. Dann kann ich nichts mehr für sie tun. Die beiden müssen sich selbst durchbeißen. Liebe ist etwas Herrliches, eine große Liebe ist himmlisch – um bei Ihrem Vokabular zu bleiben! –, aber eine wahnsinnige Liebe bleibt eben wahnsinnig! Da fällt man entweder auf die Schnauze – oder man erobert alle Paradiese!«
»Und wie wird es bei Tassburg und Natalia sein?« fragte Tigran Rassulowitsch. »Was schätzen Sie?«
»Sie fallen auf die Schnauze!« antwortete Dr. Plachunin düster. »Und wie sie fallen …«
In einem hatte Dr. Plachunin recht: Natalias Liebe war wie ein Paradies. Daß ihr dabei der Begriff für alle Realitäten verlorenging, kam ihr nicht zu Bewußtsein. Wie auch, wenn man fast bis zur Bewußtlosigkeit liebt?
Aber auch Tassburg, sonst ein nüchterner, klar denkender Mensch, nur vom Intellekt geleitet, wurde vom Sturm der Gefühle mitgerissen. Als sei in Natalias Wesen nach dem Wissen, daß sie ein Kind bekommen sollte, eine bisher verschlossene Tür aufgegangen, wuchs ihre Zärtlichkeit zu einer so völligen Hingabe, daß sie sich in Tassburgs Armen verströmte bis an die Grenzen ihrer Kraft. Wie ohnmächtig lag sie dann manchmal neben ihm, mit geschlossenen Augen, kaum zum Atmen fähig, die Hände in ihre langen, schweißnassen Haare gewühlt. Über ihren Körper lief ein dauerndes Zittern, als friere sie, obwohl sie glühte. Sie konnte minutenlang kein Wort sprechen, alles an ihr und in ihr war wie gelähmt – eine selige Kraftlosigkeit – eine vollkommene Aufgabe.
»Du bist unsagbar … du bist unaussprechbar …«, sagte Tassburg in solchen Augenblicken, den Kopf zwischen ihren Brüsten, das Vibrieren ihres Leibes in sich überfließen lassend.
»Es ist wie nicht von dieser Welt, Mischa«, flüsterte Natalia zurück und strich über seinen nassen Rücken. Wenn sie mit ihren Fingernägeln ganz leicht seine Haut berührte, empfand er ein unnennbares, seliges Brennen.
Man kann es verstehen, daß nach solchen Stunden selbst Tassburg nicht mehr davon redete, daß der Hubschrauber aus Batkit landen würde und Natalia dadurch die einmalige Chance hatte, gerettet zu werden. Trennung – jetzt? Nach dieser in Glut gebetteten Zärtlichkeit? Nach einem Blick in diese glücklichen Augen, die all sein Tun verfolgten, als bete sie ihn an? Nach diesen Küssen, zu denen sie sich immer wieder fanden, als gäbe es keinen anderen Ausweg.
Wie kann man da sagen: Natalia, morgen ist das alles zu Ende! Für Monate! Erst im Frühjahr sehen wir uns wieder, dann hole ich dich ganz zu mir! Von morgen an müssen wir nur von der Erinnerung zehren, in der Sehnsucht zueinander, in der stillen, verzehrenden Liebe, die kein Echo mehr finden wird! Nicht mal einen Brief kann man schreiben, denn wer brächte ihn in die Taiga, die wir, der Geologentrupp, zum erstenmal betreten? Es bleiben nur unsere Gedanken, es bleibt nur die Hoffnung auf ferne Monate …
Ein einziges Mal an diesem Tag versuchte es Michail, als er am Nachmittag vom Lager zurückkam und dort erfahren hatte, daß die noch in der Taiga festsitzenden Bohrwagen und Lastautos jetzt versuchten, nach Satowka zurückzukommen. Der zum Bohrtrupp gehörende Funkwagen hatte mit Mutorej und Omsk laufend Verbindung und hatte für den langen Winter neue Ausrüstung verlangt. Sie war zugesagt worden, allerdings erst in einer Woche. Ein großer Transporthubschrauber sollte genug Material bringen. Und dann mußte der Trupp weiterziehen …
Auf jeden Fall tat sich etwas. Satowka war nicht mehr abgeschnitten, war nicht mehr unbekannt. Es stand jetzt in vielen amtlichen Listen. Aber es stand ebenso fest, daß der Name Satowka dort verkümmern würde. Der kleine Ort mit seinen Menschen und Schicksalen nördlich der Steinigen Tunguska würde in wenigen Wochen wieder nur einer Handvoll Genossen in Batkit bekannt sein. Denn das stand ja jetzt schon fest: Erdgas würde man in der näheren Umgebung von Satowka nicht finden! Die Vorausberechnungen im Geologischen Forschungszentrum mußten falsch sein. Das kommt vor, Genossen! Wozu sind wir Menschen, wenn wir uns nicht irren dürften …?
»Ich will nichts mehr davon hören«, sagte Natalia, als Tassburg den Hubschrauber erwähnte, der Dr.
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