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Natalia, ein Mädchen aus der Taiga

Natalia, ein Mädchen aus der Taiga

Titel: Natalia, ein Mädchen aus der Taiga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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das Kerlchen!«
    Der kleine Doktor nahm winkend Abschied, dann gewann der Hubschrauber schnell an Höhe und war bald nur noch ein Punkt, der im Grau des Himmels verschwand.
    »Nun sind wir wieder allein!« sagte Tigran zu Tassburg, ohne seine Ergriffenheit zu verbergen. »Der Genosse Doktor konnte ein unangenehmer Mensch sein – aber wir sind Freunde geworden. Es war doch eine Wohltat, sich endlich einmal wieder mit einem gebildeten Menschen unterhalten zu können. Ein Glück, daß Sie uns erhalten bleiben, Michail Sofronowitsch. Wir müssen uns jetzt öfters abends zusammensetzen.«
    »Auch ich werde Satowka bald verlassen.«
    »O Himmel, ist das sicher?«
    »Nach den neuesten Nachrichten aus Omsk, ja!«
    »Das ist ein Unglück! Erst Plachunin, und nun auch Sie, mein Freund! Da kommt einmal ein Hauch der neuen Zeit zu uns, und ebenso schnell verweht er wieder. Zurück bleiben die Eintönigkeit, der Stillstand.«
    »Das stimmt nicht, Tigran Rassulowitsch. Seien Sie nicht undankbar dem Schicksal gegenüber. Diese Menschen hier brauchen Sie! Hier wird geboren, getauft, gelernt, geliebt, geheiratet, gelebt und gestorben … ein Kreislauf wie überall. Das ist niemals ein Stillstand!«
    »So ist es gut! Predigen Sie dem Priester!« Tigran legte seine Hände auf Tassburgs Schultern. Sie trugen beide dicke Pelzmäntel. Der Frost wurde von Stunde zu Stunde schärfer, je mehr der Himmel sich vom Blau des Morgens in das jetzige Grau verwandelt hatte.
    »Und was wird nun aus Natalia?«
    »Das entscheidet sich in einer Woche.«
    »Wieso wissen Sie genau diese Zeit?«
    »In einer Woche kommt ein Transporthubschrauber aus Omsk. Vom Zentrallager.«
    »Und mit dem fliegen Sie davon?«
    »Nein! Mit dem fliege ich zuerst nach Mutorej und suche Natalias Eltern. In Mutorej wird sich alles entscheiden …«
    »Die Sache mit Kassugai?«
    »Ja. Ich glaube nämlich nicht daran, daß Kassugai die Behörden alarmiert hat. Er hat eine ganz private Jagd auf Natalia gemacht. Ist es so, wird sie es nicht mehr nötig haben, sich zu verstecken.«
    »Und wo kommt sie dann plötzlich her, he?« fragte Tigran nachdenklich. »Ihr Auftauchen kann ich doch kaum durch ein Wunder geschehen lassen … Das glaubt mir keiner!«
    »Ich habe da eine Idee.« Tassburg lächelte schwach. »Aber um sie auszuführen, muß ich erst in Mutorej gewesen sein.«
    Später, wieder daheim im ›Leeren Haus‹, saß Michail am warmen Feuer und wärmte sich die kalten Hände. Natalia saß am Tisch und nähte einen Knopf an sein Hemd.
    »Nun ist Plachunin fort«, sagte er.
    »Ich habe es gesehen!« Natalia lächelte ihn an, und es war unmöglich, dieses glückliche Lächeln auszulöschen. »Ich habe durch einen Spalt der Decke aus dem Fenster geblickt. Genau über uns ist der Hubschrauber davongeflogen. Ich konnte Dr. Plachunin deutlich sehen. Er blickte auf unser Haus hinunter.«
    »Sicherlich mit einem Fluch …«
    »Der trifft mich nicht!« Sie stand auf, kam zu Tassburg an den Ofen und kniete neben ihm nieder. Mit einer unsagbaren Zärtlichkeit legte sie ihren Kopf in seinen Schoß und sah ihn mit großen Augen an.
    »Eines Tages wirst du es bereuen«, sagte Michail mit zugeschnürter Kehle.
    »Nie, Mischa, nie!« Sie umfaßte seine Hüften. »Ich werde nie bereuen, daß ich bei dir bleibe.«

XIII
    Das Maß des dörflichen Winterlebens wurde vom Frost diktiert. Man arbeitete in den Häusern, es wurde gezimmert und gestrichen, die Geräte wurden ausgebessert, das Vieh war in den Ställen zu versorgen, ab und zu wurde geschlachtet, das Fleisch gepökelt oder einfach ins Freie gehängt, wo es schnell vereiste. Es blieb so frisch und schmeckte später – in der Pfanne oder im Topf aufgetaut – köstlich.
    Nach sieben Tagen qualvoller Fahrt kamen die Wagen aus der Taiga in Satowka an: der Geologentrupp, der Bohrtrupp, die Materialwagen, die fahrbare Funkstation. Die ganze Mannschaft war wieder beisammen und wurde von Tassburg herzlich begrüßt. Es waren rauhe Kerle, besonders die Bohrleute! Das zeigte sich, als sie bereits am ersten Abend durch das Dorf strichen und nach Mädchen Ausschau hielten – wie ausgehungerte Wölfe! Was ein guter, umsichtiger Vater war, verrammelte seine Tür und ließ sein Töchterlein nicht aus den Augen; und die Ehemänner von jungen Frauen verkündeten, sie würden ihre Weibchen verprügeln, wenn sie auch nur einen Blick auf die strammen Kerle aus Omsk warfen.
    »Das ist ein Problem, ich verstehe es«, sagte Tigran Rassulowitsch zu Tassburg.

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